Wahlkampf der Piratenpartei: Heute Basis, morgen Parlament
Eine Woche vor ihrem Einzug ins Abgeordnetenhaus konzentriert sich die Piratenpartei auf ihr Kernthema und demonstriert gegen Überwachung.
Rosi Zismer steht vor den Prospekten, überlegt. Dann greift sie zielsicher zu. Sie nimmt sich ein Parteiprogramm zur kommenden Abgeordnetenhauswahl. Zismer passt nicht zu den Leuten, die um sie herumstehen - vorwiegend Jugendliche, meist dunkel gekleidet, orange Fahne in der Hand. Anhänger der Piratenpartei. Die meisten hier könnten Zismers Kinder sein. Sie lächelt. Dass sie nicht dazu passt, findet sie nicht: "Das sind denkende Bürger. Und das ist unabhängig vom Alter." Datenschutz sei eine wichtige Sache, deshalb demonstriere sie hier. Und nach der Wahl brauche es etwas Neues im Parlament, meint sie.
Zismer ist eine von etwa 5.000 Demonstranten, die an diesem Samstag die "Freiheit statt Angst"-Demonstration besuchen. Die Piraten sind hier dabei, die Linke, die FDP und die Grünen. Dazu kommen kleinere Parteien, Ver.di und linke Gruppen. Sie demonstrieren für einen modernen Datenschutz, ein freies Internet und gegen Überwachungswahn, schon zum fünften Mal. Eigentlich soll es hier nicht um Wahlkampf gehen, doch überall stehen Parteistände. Dann geht es los, vom Brandenburger Tor Richtung Alexanderplatz, wo im Anschluss ein Fest mit Reden, Musik und Aktionsständen zum Thema stattfindet.
Plötzlich ist viel Rosa unter den orangen Piraten zu sehen. "Bürgerrechte für Sicherheit abzubauen ist schweinheilig" steht auf einem Transparent. Dahinter trägt die Jugendorganisation der Piratenpartei ein rosa Stoffschwein. "Es ist die Terrorsau", erklärt Susanne Graf. Die 19-Jährige ist stellvertretende Vorsitzende der Jungen Piraten. Jahrelang sei die Terrorsau durch verschiedene Dörfer getrieben worden, um Beschneidungen der Bürgerrechte zu rechtfertigen. Heute werde sie zu Grabe getragen.
Am Rand der Demo steht Moritz. Er sieht schon eher nach dem typischen Piratenwähler aus, ist 18 Jahre alt, am kommenden Sonntag Erstwähler. An seiner Jacke klebt ein Aufkleber der Piraten. Festgebunden an seinem Rucksack weht über ihm jedoch ein Ballon der Grünen. "Auf Bezirksebene werde ich Piraten wählen", erklärt er. Für das Abgeordnetenhaus habe er sich aber für die Grünen entschieden. Schließlich sei er gegen die Verlängerung der A 100. Also doch nicht der typische Piratenwähler. Gibt es den hier überhaupt? "Wenn er die Demo nicht im Livestream guckt, dann ist er hier", versichert Moritz.
Als der Demozug am Alexanderplatz eintrifft, richten sich die Parteien erneut an ihren Ständen ein. Das Wetter trägt zur Feststimmung bei. Es ist angenehm warm. Auf der Bühne werden Reden gehalten. "Wir dürfen nicht allen die Freiheit wegnehmen, nur weil einige sie missbrauchen", ruft Patrick Breyer vom Arbeitskreis gegen Vorratsdatenspeicherung. Er erntet Applaus in der Menge. Noch einmal weist er auf die Onlinepetition gegen die Vorratsdatenspeicherung hin. 25.000 Unterschriften seien gesammelt, 50.000 brauche es insgesamt für eine öffentliche Anhörung im Bundestag.
Kurz darauf müssen die Stände etwas zusammenrücken. Die Polizei hat einen Teil des Platzes abgesperrt. Sie untersucht einen herrenlosen Koffer. Die Demo gegen Terror- und Überwachungswahn geht unterdessen weiter. Bald folgt die Nachricht: kein Sprengstoff. Die Polizei habe sich sehr im Sinne der Veranstaltung verhalten und keine Panik gemacht, bedankt sich Manuela Schauerhammer, Mitorganisatorin der Demo, auf der Bühne.
In einem gläsernen Wagen sitzt währenddessen der Piraten-Spitzenkandidat Andreas Baum. Über die 6,5 Prozent in der jüngsten Umfrage freue er sich. Natürlich nehme seine Partei an der Demo teil, es gehe schließlich um eines ihrer Kernthemen. Aber: "Die Demo ist auch eine gute Gelegenheit, um mit den Leuten ins Gespräch zu kommen", sagt Baum. Also doch Wahlkampf. Es gehe ums Thema, erwidert Baum. "Aber es ist klar, wenn man Parteien auf die Demo lässt, dann machen die auch Wahlkampf."
Einige seiner Parteikollegen stehen vor einem Computer. Sie übertragen die Kundgebung live im Internet. Sie sind jung, computeraffin und entsprechen dem Bild, das man gemeinhin von den Piraten hat. Daneben Menschen, die dieses Bild durchbrechen. Ein älterer Herr kommt vorbei und nimmt sich Broschüren. "Meine Frau ist gerade einkaufen", sagt er und fragt, worum es bei der Kundgebung geht. Er sei nur zufällig vorbeigekommen und habe die Piraten gesehen, wolle sie eventuell wählen, mal etwas Neues: "Aber ich muss erst einmal lesen, meine Frau will gucken, was sie zur Bildung sagen." Einige Meter weiter ein Ehepaar. Jahrgang 1946 sei sie, sagt die Frau. An ihrer Jacke steckt ein Button der Piratenpartei. "Für Berlin wären die gut. Die anderen können nichts mehr", meint sie. Gewählt habe sie schon. Per Briefwahl. Die Piraten.
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