Wahlkampf der Großkoalitionäre: Der Kampf um die Ökos
Knapp hundert Tage vor der Bundestagswahl lenken die beiden großen Parteien um: Sowohl SPD als auch CDU bemühen sich um einen grünen Anstrich.
![](https://taz.de/picture/348024/14/oeko_b.jpg)
BERLIN taz | Alle reden plötzlich von der grünen Wirtschaft - vor allem Politiker der großen Koalition. Am Montag lud SPD-Bundesumweltminister Sigmar Gabriel nach Berlin zu einer "Innovationskonferenz": "Green Recovery" - die grüne Erholung in Zeiten der Wirtschaftskrise. Es ging um "eine neue Politik für Wachstum, Beschäftigung, Nachhaltigkeit", eigentlich eine Fachkonferenz, organisiert von Gabriels Haus. Tatsächlich aber war es Wahlkampf, denn es redeten: Gerhard Schröder, Ex-SPD-Kanzler, und Frank-Walter Steinmeier, aktueller SPD-Kanzlerkandidat. Die SPD verspricht, den Planeten und Jobs zugleich zu retten - und bis 2020 mit grünen Technologien eine Million zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen.
Das war einen Tag nachdem die CDU ihr Wahlprogramm vorgestellt hat - mit grünem Anstrich. Die Christdemokraten kündigen an, die Treibhausgasemissionen zu senken, bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990. Und CSU-Chef Horst Seehofer hat schon vor Tagen wissen lassen, er werde die CSU grüner machen. Parteikollege und Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg setzte später noch mal nach und erklärte: "Ökologie ist nicht als Badeschlappenthema zu begreifen, sondern als wirtschaftliche Chance". Umweltschutz wird konservativ.
Knapp 100 Tage vor der Bundestagswahl initiieren die Politiker einen Schlagabtausch: Wer ist der Grünste im Land? Denn Öko zieht derzeit. Das haben die Europawahlen gezeigt. Die Grünen warben mit Sonnenblumen und Zahnrädern auf Plakaten für ihr Versprechen, die Wirtschaft zu ökologisieren. Vom "Green New Deal" sprachen sie - mit Erfolg. Sie bekamen 12,1 Prozent der Stimmen. Am meisten Zuspruch bekam die Partei in den Städten. "Das neue Bürgertum wählt grün", sagte Fraktionschefin Renate Künast.
Offenbar eifern den Grünen jetzt Politiker und Wahlstrategen von SPD und Union nach. Gabriel und Steinmeier fordern den "sozialökologischen New Deal". "Energie und Ressourceneffizienz werden zu entscheidenden Wettbewerbsfaktoren moderner Ökonomie", erklärt die SPD. Umweltminister Gabriel sprach zwar schon immer sehr viel von ökologischer Industriepolitik, hatte dabei aber mehr die wirtschaftsnahe Klientel im Blick, weniger die Ökos.
Und seit seinem Amtsantritt 2005 gab er sich immer schon lieber als "Innovationsminister" denn als Umweltminister. Doch als dann 2007 alle nur noch vom Klimawandel sprachen und sich plötzlich die ehemalige Umweltministerin und heutige CDU-Kanzlerin Angela Merkel zur Klimakanzlerin aufschwang, verschwand Gabriels Öko-Wirtschafts-Kombination.
Die Idee des umweltfreundlichen Wachstums ist also nicht neu, konsequent umgesetzt wurde sie aber nicht. Zu Zeiten von Rot-Grün kamen zwar der Atomausstieg und die Förderung der erneuerbaren Energien. Mit der Windkraft entstanden neue Firmen, neue Jobs. An dieser Politik änderte die jetzige große Koalition auch wenig. Ansonsten stand Öko aber vor allem eins - zurück hinter der Wirtschaft.
So spielte der Umweltschutz bei der Rettung von Opel keine Rolle. Weder der Wirtschaftsminister noch der Umweltminister redete davon, den ersten grünen Autohersteller der Welt zu schaffen. Wer die Abwrackprämie bekommen will, muss sich auch keinen besonders spritsparendes Auto kaufen; die Regierung verzichtete darauf, strikte Umweltkriterien zu setzen.
Ein geplantes Umweltgesetzbuch, das den Schutz von Arten, Boden und Wasser verbessern sollte scheiterte - am Widerstand Seehofers. Zu Guttenberg blockiert ein Energieffizienzgesetz. Die Union greift nicht ein. Und eine Ökosteuer, die Arbeit entlasten und dafür Energie teurer macht, entwickelt keine der Parteien weiter.
Um Ökologie pur ging es vielleicht mal - früher, als Umweltschutz zum ersten Mal Regierungspolitik wurde. Das war ausgerechnet mit der FDP. Anfang der 1970er-Jahre setzte Hans-Dietrich Genscher als Innenminister erste ökologische Akzente. Unter seiner Regie entstanden die ersten Gesetze zur Luftreinhaltung, zur Abfallbeseitigung und zum Schutz vor Giften wie Blei. Dann kam die Ölkrise, und der Umweltschutz geriet in Verruf, ein Jobkiller zu sein. Davon hat er sich lange nicht erholt - bis zu dieser Wirtschaftskrise.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen