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Wahlkampf als Kleinstpartei„Ich bin hier der Kleinste“

Wahlkampf im Winter? Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung, findet Stefan Seidler, einziger Abgeordneter seiner Partei im Bundestag.

Klein, aber nicht allein: Stefan Seidler, Abgeordneter des Südschleswigschen Wählerverbandes im Deutschen Bundestag Foto: Joerg Carstensen/picture alliance
Interview von Barbara Oertel

taz: Herr Seidler, bei unserem letzten Interview im Dezember 2022 haben Sie gesagt, die Ampel würde bis zum Ende durchhalten. Jetzt ist es doch anders gekommen. Hat Sie das überrascht?

Stefan Seidler: Überhaupt nicht. Ehrlich gesagt war ich auch erleichtert, wegen der schlechten Stimmung im Parlament. Aber ich bin auch verärgert, weil wir noch einige Dinge hätten anschieben sollen.

taz: Als da wären?

Seidler: Wir brauchen einen Haushalt. Da draußen gibt es ganz viele Projekte, die jetzt ihr Jahr planen, um dann beim nächsten Haushalt zu erfahren: Nein, ihr kriegt doch nichts. Und die Leute haben Ebbe im Portemonnaie. Energie- und Mietpreise, Versicherungen – die Kosten steigen. Eigentlich sollte ja noch einiges auf den Weg gebracht werden. Rentenreform, Kindergeld und so weiter. Das wäre gut gewesen, gerade vor Weihnachten.

taz: Also herrscht auch politisch Ebbe bis zu den Neuwahlen?

Seidler: Höchstwahrscheinlich kommt noch die Reform des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht, da bin ich ja auch einer der Initiatoren. Genauso wie beim AfD-Verbotsantrag. Da müssen wir jetzt ganz schnell laufen, um das noch über die Bühne zu bekommen.

Im Interview: Stefan Seidler

43 Jahre, sitzt seit der Wahl im September 2021 für den Süd­schleswigschen Wählerverband (SSW) als fraktionsloser Abgeordneter im Bundestag. Mit dem Einzug des Politik­wissen­schaftlers schaffte der SSW, für den als Partei einer nationalen Minderheit die 5-Prozent-Sperrklausel nicht gilt, nach 68 Jahren Abstinenz die Rückkehr in das deutsche Parlament.

taz: Lassen Sie uns Bilanz ziehen. Was haben Sie im Bundestag erreicht, was können Sie sich ans Revers heften?

Seidler: Ich habe an zwei Seiten ein Revers. Auf der einen Seite wurde bei den Kol­le­g*in­nen das Bewusstsein dafür geschärft, dass es überhaupt Minderheiten gibt, und weshalb es auch für unsere Demokratie wichtig ist, sie korrekt zu behandeln. Das andere sind konkrete Ergebnisse, wie feste Zuschüsse statt immer nur Mittel für einzelne Projekte.

Wir werden uns gegen die Schuldenbremse aussprechen, weil bei uns alles auseinander fällt. Das können wir doch nicht so den nachfolgenden Generationen hinterlassen, schließlich tragen wir Verantwortung für sie.

taz: Können Sie ein Beispiel nennen?

Seidler: Ständige Zuwendungen für die friesische Minderheit und eine Aufstockung für das Minderheitensekretariat hier in Berlin, die Dachorganisation aller Minderheiten. Außerdem haben wir das Namensrecht reformiert. Jetzt könnte ich den Mittelnamen meiner Mutter annehmen, Møller mit dänischem Ö. Bislang war es bei uns nicht möglich, skandinavische Buchstaben mit im Namen zu führen. Aber einiges haben wir auch nicht durchbekommen. Ich kämpfe nach wie vor dafür, dass wir in der neuen Geschäftsordnung des Bundestags für Ver­tre­te­r*in­nen von Minderheiten mehr Rechte bekommen, ähnlich wie im schleswig-holsteinischen Landtag. Das wäre die Möglichkeit, an mehreren Ausschüssen teilzunehmen, aber auch, Fragen auf die Tagesordnung zu setzen oder Entschließungsanträge einzubringen.

taz: Küstenschutz ist ja auch in Schleswig-Holstein ein großes Thema. Wie ist es da gelaufen?

Seidler: Es war geplant, bei den Mitteln für den Küstenschutz massiv zu streichen. Diese Einsparungen wurden dank unseres Einsatzes vom Tisch genommen. Aber was wir jetzt haben, reicht nicht aus für das, was wir brauchen. Trotzdem muss ich ganz ehrlich sagen: Wenn Cem Özdemir, der alte Baden-Württemberger, nach Nordfriesland kommt und sich in Gummistiefeln mit mir den Deich anguckt, dann ist das ja ein Stück weit auch ein Zeichen, dass er zugehört hat.

taz: Robert Habeck, derzeit noch Bundeswirtschaftsminister, kommt aus demselben Wahlkreis wie Sie. Wie war die Zusammenarbeit?

Seidler: Wir schätzen uns. Ich habe jedoch von Anfang an gesagt, dass er keine Zeit mehr für den Wahlkreis haben wird, wenn er Superminister ist. Und das war auch so. Manchmal hätte ich mir etwas mehr Vizekanzler bei uns im Norden gewünscht. Oder, um mit Olaf Scholz zu sprechen: ein bisschen mehr Wumms.

taz: Nun steht der Wahlkampf an. Was sind Ihre Themen?

Seidler: Natürlich das Nordische, die Verbundenheit zu Minderheiten. Wir fordern, in Deutschland die Energiemärkte aufzuteilen, so wie in Skandinavien auch. Es kann ja nicht sein, dass wir im Norden weiterhin die höchsten Preise bezahlen. Und wir werden uns gegen die Schuldenbremse aussprechen, weil bei uns alles auseinanderfällt, zum Beispiel die Infrastruktur. Das können wir doch nicht so den nachfolgenden Generationen hinterlassen, schließlich tragen wir Verantwortung für sie.

Nicht unter die Räder kommen! Kleinstparteien haben es im Bundestagswahlkampf schwer. Stefan Seidler vom SSW ist aber guter Dinge Foto: Nikita Teryoshin

taz: Der Wahlkampf kommt etwas überstürzt. Wie sieht das praktisch aus? Ihr Landeschef hat gesagt, der SSW habe einen Plan B …

Seidler: Wir sind inzwischen bei Plan D angekommen. Traditionell verteilen wir im Wahlkampf immer unsere Partei-Blume, die Osterglocke. Das werden jetzt wohl irgendwelche Schokoladenweihnachtsmänner. Es wird Straßenwahlkampf geben, wir werden massiv auf Social Media setzen und vielleicht auch hier und da noch mal Klinken putzen gehen.

taz: Haben Sie genug potenzielle Mitstreiter*innen?

Seidler: Klar müssen wir unsere Wahl­kämp­fe­r*in­nen einschwören, aber ich merke den Rückhalt aus der Partei. Viele haben uns und mir geschrieben: Wir unterstützen dich. Die Nominierungen in unseren Kreisverbänden waren schon so angesetzt, dass das passt. Wir haben unseren Parteitag, bei dem wir die Liste und den Spitzenkandidaten wählen, vorverlegen müssen. Das ist gar nicht so einfach, weil vielerorts schon alles für Weihnachtsfeiern ausgebucht ist.

wochentaz

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taz: So wirklich Spaß macht ein Wahlkampf im nasskalten Winter ja nicht …

Seidler: Auch wenn das eine kalte Angelegenheit ist, da kenne ich nichts. Wir hier sagen: Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur schlechte Kleidung. Ich finde Wahlkampf toll. Nur am 24. Dezember nicht, da mache ich hygge (Dänisch für gemütlich, Anm. d. Red.).

taz: Was erwarten Sie generell vom Wahlkampf?

Seidler: Der wird richtig schmutzig. Wir haben schon einen ersten Vorgeschmack erlebt, als Markus Söder neulich über die Grünen und den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Daniel Günther hergezogen hat. Was soll das? Wir haben am rechten Rand und am äußersten linken Rand mit Leuten zu tun, die sich einer Sprache bedienen und ein Gegeifer da von sich geben, wo ich mich frage, wieso müssen jetzt auch wir Demokraten in der politischen Mitte die gleichen Methoden und denselben Ton anwenden. Zugegeben, die Regierung war ein Griff in die Tonne. Aber von allen Seiten alles so schlecht zu machen und in den Dreck zu ziehen, das dient niemandem. Außer denen am äußersten Rand, weil das den Frust in der Bevölkerung noch mal weiter schürt.

Ich bin hier noch nicht fertig

taz: Allen Prognosen zufolge wird die AfD ein gutes Ergebnis einfahren und auch das BSW dürfte in den Bundestag einziehen. Kann man Wäh­le­r*in­nen dieser Parteien zurückholen?

Seidler: Ich mache das mal ein bisschen fest an dem, was wir bei uns machen. Wir sind eine regional verankerte Minderheitenpartei und setzen auch darauf, in der Region präsent zu sein. Das ist einfacher, weil wir als dänische Minderheit unsere Organisation haben. Unser Erfolgskonzept ist Bürgernähe. Das würde ich den Großen auch wieder mehr ans Herz legen. Sich nicht zu fein dafür zu sein, auch mal mit ganz normalen Menschen einen Abend bei sich im Dorf zu verbringen. Nach dem, was ich höre, haben die sich die großen Parteien im Osten Deutschlands davon ein Stück weit verabschiedet.

taz: Der Grüne Robert Habeck versucht es jetzt immerhin mit Gesprächen am Küchentisch … Kann das etwas bringen?

Seidler: Schwer zu sagen. Was ich an Robert nach wie vor schätze, ist, dass er irgendwann den Mut zusammengenommen und gesagt hat: Wenn wir das Land hier verändern wollen, dann müssen wir auch mal etwas mit den Schwarzen zusammen machen. Und das haben wir in Schleswig-Holstein ja ganz gut hinbekommen. Das ist übrigens auch ein Stück weit das Mantra meiner Partei: Dass man auch mal über die politischen Gräben hinweg zusammenarbeitet, um etwas voranzubringen, so wie wir das in Skandinavien gewohnt sind.

Stefan Seidler vom SSW freut sich auf den Wahlkampf – außer am 24.12: Da macht er hygge (Dänisch für gemütlich) Foto: imago/Willi Schewski

taz: Olaf Scholz hat für den Bund eine Minderheitsregierung ausgeschlossen. Halten Sie das für richtig?

Seidler: Es wäre mal ganz gesund für unser Land, eine andere Medizin zu probieren. Wir haben es jetzt mit der Ampel versucht, das hat nicht funktioniert. Aber dann gleich wieder auf die altbewährten Strategien zurückzugreifen, ist auch nicht der richtige Weg. Minderheitsregierungen gibt es in Skandinavien seit eh und je, insbesondere in Dänemark. Das erfordert Kompromisse, aber eine Demokratie lebt eigentlich ausschließlich von Kompromissen.

taz: Was war Ihr krassestes Erlebnis in diesen dreieinhalb Jahren im Bundestag?

Seidler: Was Leute sich erlauben, zu sagen – insbesondere diejenigen vom äußersten rechten Rand. Ein Beispiel von vielen war der Entschließungsantrag zu den Rechten der Sinti und Roma. Da stellt sich so ein Heini im Bundestag hin und schmettert fünfmal das Z-Wort. Er nenne sein Schnitzel weiter so, wie er wolle. Das ist heftig. Dabei meine ich nicht nur Abgeordnete, sondern auch deren Mitarbeiter, Neonazis, die wir hier über den Bundestag finanzieren. Hier gendere ich bewusst nicht, denn das sind alles Männer.

taz: Was steht positiv auf der Habenseite?

Seidler: Es gibt hier ganz viele tolle Kol­le­g*in­nen aus allen demokratischen Fraktionen, mit denen ich super zusammenarbeite. Da macht es Spaß, Politik zu machen. Ich bin ja hier der Kleinste und habe keine große Fraktion hinter mir. Ich sitze auch nicht im Haushaltsausschuss. Aber trotzdem nehmen die mich mit. Das ist dann so eine Art Gütesiegel, nach dem Motto: Wir sorgen auch für unsere Minderheiten. Und wenn das dafür ausreicht, dass ich meine Dinge durchkriege, bin ich zufrieden.

taz: Sie wollen bei den Bundestagswahlen im Februar wieder antreten. Warum?

Seidler: Ich bin hier noch nicht fertig. Das waren ja erst kleine Schritte, um Minderheitenrechte und unsere Region voranzubringen. Wenn man sich die Umfragen anschaut, habe ich Schiss, dass wir in der nächsten Bundesregierung wieder einen Verkehrsminister von der CSU bekommen. Und deshalb muss ich hier sein, damit wir auch weiterhin für Schleswig-Holstein ein paar Sachen herausholen können und nicht nur alles in den Süden geht.

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5 Kommentare

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  • Zwar kann Habeck bekanntlich auch Dänisch, wie er gerne mal zeigt.



    Doch gut, dass es SSW auch gibt, ohne sich nur auf øs zu reduzieren.

  • Danke für dieses Interview, und danke dem Abgeordneten der SSW! Der redet sachlich und orientiert sich an dem, was Bürger*innen brauchen. Diesen sachlichen Ton und die Orientierung an den Grundaufgaben des Staates - nämlich Schaffen von Infrastruktur, damit wir Bürgerinnen und Bürger überhaupt unser Leben führen und unsere Grundrechte leben können - das fehlt völlig bei all den Egomanen jeglicher Couleur, wie bei den Remigrations- und sonstigen Eiferern.

  • Man kann nur inständig hoffen, daß der SSW wieder reinkommt. Dabei sind die Dänen ja nicht mal die einzige Minderheit. Aber die Sorben scheinen in Sachsen (und mittlerweile wohl auch in Brandenburg) längst nicht mehr "stattzufinden".

    • @dtx:

      Es gibt ja schon den ein oder anderen bekannten politisch aktiven Sorben (recherchieren Sie mal; eine andere Perspektive ist auch hier manchmal hilfreich), doch eben nicht in einer eigenen Partei.

    • @dtx:

      Der Anteil von uns Sorben an der sächsischen Bevölkerung liegt bei unter 1%. Was genau erwarten Sie denn bei den Machtverhältnissen?



      Wir hatten die Wendische Volkspartei die unter den Nazis verboten wurde. Auch in der Nachkriegszeit gab es einen Versuch der politischen Selbstorganisation der Sorben. Allerdings war in beiden Fällen sofort politische Unabhängigkeit bzw. nach dem Krieg Angliederung der sorbischen Gebiete an die CSSR das Ziel.



      Als ob unsere deutschen Kolonialherren uns jemals frei über unsere Region entscheiden lassen würden.