Wahlkampf 98: Einzelkämpfer: „Die Schule macht keinen Spaß“
■ Zehn Einzelbewerber wollen als unabhängige Direktkandidaten in den Bundestag: Der Schüler Tim Schulze will mit „Eine Chance für die Schule“ junge Leute politisch aktivieren
Tim Schulze weiß noch nicht so richtig, was auf ihn zukommt. „Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt“, sagt der 19jährige Schüler, der sich im Wahlkreis 253, Zehlendorf/Steglitz, um eine unabhängige Direktkandidatur für die Bundestagswahl bewirbt. Zuversicht geben ihm die 222 Unterstützungsunterschriften für seine Kandidatur und der Rückhalt seiner Mitschüler und Lehrer am Werner-von-Siemens-Gymnasium in Nikolassee. „Die Kandidatur gibt uns die Chance, uns zu artikulieren“, sagt er. Hinter ihm steht die Projektgruppe „Eine Chance für die Schule“, zu der etwa zehn Schüler gehören. Geistiger Vater seiner Kandidatur war wie auch bei anderen Einzelkandidaten Christoph Schlingensiefs Wahlkampfzirkus. Ganz unbeleckt in Sachen Bildungspolitik sind Tim Schulze und seine Mitstreiter nicht. Im Herbst vergangenen Jahres haben sie sich mit den protestierenden Studenten solidarisiert und versucht, an ihrer Schule für eine bessere Schulpolitik zu streiken. „Das ist leider gescheitert, weil das Bewußtsein fehlte“, erzählt Tim Schulze. Damit sich das ändert und die großen Parteien die Schüler und ihre Probleme endlich wahr- und ernst nehmen, wollen Tim Schulze und seine Mitschüler an zwei Projekttagen am 15. und 16. September mehrere Arbeitsgruppen bilden und ein Konzept für eine bessere Schule erarbeiten.
Ein Programm hat die Projektgruppe noch nicht. „Wir wollen uns nicht anmaßen, Alternativkonzepte zu haben“, räumt Tim Schulze bescheiden ein. Doch gut vorbereitet, benennt der Neunzehnjährige die für ihn wichtigsten Mißstände an den Schulen: die fehlende Vermittlung von Wissen, von Fähigkeiten zum eigenständigen Lernen, von Ökologiebewußtsein, politischer Mündigkeit, Verantwortungsgefühl und politischem Interesse.
„Die Schule wird nicht als Lebensraum wahrgenommen“, kritisiert er. Und: „Die Schule macht weder Spaß, noch vermittelt sie das.“ Statt über „Lappalien“ wie über vier oder sechs Jahre Schule oder nur über finanzielle Aspekte zu diskutieren, fordert er eine generelle Umgestaltung.
Ob es bis zur Bundestagswahl spektakuläre Aktionen à la Schlingensief geben wird, macht Tim Schulze von den rechtlichen Möglichkeiten an der Schule abhängig. Ein Krachmacher ist er nicht, und die Schule ist kein Zirkuszelt. Tim Schulze ist ein Schüler, der sich artikulieren kann und für den „alle Fächer eine Berechtigung haben“. Besonders angetan haben es ihm Physik und Chemie. Deshalb ist sein Berufswunsch Physiker.
Politiker will er nicht werden. Der politische Alltag ist ihm zu trocken. Auch als Wissenschaftler hätte er seiner Ansicht nach genug Betätigungsmöglichkeiten. Barbara Bollwahn
wird fortgesetzt
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