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Wahljahr 2013Täuschung im großen Stil

Keine Koalition ist ausgeschlossen, der Lagerwahlkampf pure Inszenierung. Doch die wird erst nach der Wahl in Niedersachsen richtig losgehen.

Einen ersten Höhepunkt des Dauerbluffs bildet die Landtagswahl in Niedersachsen: David McAllister ist vorbereitet. Bild: dapd

Ein guter Bluffer zeichnet sich beim Poker dadurch aus, dass er seinen Mitspielern ein schlechtes Blatt als hervorragend verkauft. In der Politik funktioniert das Spiel im Grunde so ähnlich, nur dass Politiker nicht allein den Gegner täuschen, sondern auch die WählerInnen.

Bereits jetzt steht fest: 2013, das Jahr der Bundestagswahl, wird eines der politischen Bluffs. Dafür spricht nicht nur das Naturgesetz, dass Politiker vor Wahlen besonders gerne die Realität in ihrem Sinne frisieren. Sondern auch die einzigartige Konstellation in der Parteienlandschaft, die die Parteien zur Unehrlichkeit geradezu zwingt.

Da wäre zunächst Angela Merkel. Die Kanzlerin weiß, dass sie auf eine FDP, deren Spitzenkräfte die Selbstzerstörung kurz vor dem Dreikönigstreffen konsequent vorantreiben, nicht zählen kann. Dennoch lobt sie die zerrütteten Liberalen über den Klee, versteigt sich gar zu der gewagten These, Schwarz-Gelb, diese „Gurkentruppe“ (CSU über die FDP), sei die „erfolgreichste Regierung seit der Wiedervereinigung“. Ist Merkel realitätsblind?

Auch die Gegenseite täuscht nach Kräften: Peer Steinbrück und Jürgen Trittin wissen, dass eine Mehrheit für Rot-Grün mehr als fraglich ist. Die Kanzlerin ist beliebt, von Wechselstimmung fehlt in der Republik jede Spur, und die unprofessionelle Performance Steinbrücks lässt die Zweifel wachsen, dass sich daran bis September irgendetwas ändert. Dennoch gehen die wichtigsten Köpfe von SPD und Grünen an keinem Mikrofon vorbei, ohne zu betonen, Rot-Grün sei 2013 unausweichlich. Spinnen die?

Autosuggestion

Nein, alle, egal ob rechts oder links, betreiben eine notwendige Autosuggestion. Alle wissen, dass die Lager nicht mehr taugen. Und dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass die Gegner am Ende in einer großen, einer schwarz-grünen oder in einer Ampelkoalition miteinander kooperieren müssen.

Bild: Anja Weber
ULRICH SCHULTE

leitet das Parlamentsbüro der taz. Er schreibt vor allem über die Kanzlerin, die CDU und die Grünen. Zuvor war er Chef des Inlandsressorts.

Die Parteien führen also keinen echten Lagerwahlkampf, sondern sie inszenieren ihn. Dabei ist es nur rational, das Trennende zu betonen, um die eigene Klientel zu mobilisieren. Die große Koalition, eine wahrscheinliche Variante, wirkt auf die meisten CDU- und SPD-Wähler ja entweder einschläfernd oder abstoßend.

Diese Dialektik wird das Wahljahr prägen. Einen ersten Höhepunkt des Dauerbluffs bildet die Landtagswahl in Niedersachsen. Am 20. Januar wählen die BürgerInnen ein neues Parlament, der SPD-Herausforderer Stephan Weil will zusammen mit den Grünen den beliebten CDU-Regierungschef David McAllister stürzen.

Die rot-grünen Spindoktoren werden einen Sieg (nach Siegen in sechs weiteren Ländern seit 2011) als Vorgeschmack auf den Bund interpretieren. Wider besseres Wissens. Jeder Politikprofi weiß, dass die Situation in Niedersachsen nicht auf den Bund übertragbar ist. Nur für die FDP ist das Ergebnis wegweisend für den Bundestagswahlkampf.

Die Wahl in Niedersachsen

Ansonsten steuert Hannover auf ein Parlament zu, in dem drei, vielleicht vier Parteien vertreten sein werden. Im Bundestag wird es mehr Fraktionen geben, allein weil die Linkspartei sicher hineinkommt. Rein rechnerisch ist deshalb die Chance für Rot-Grün im Bund viel geringer als in Niedersachsen.

In puncto Koalitionsoptionen lautet deshalb die Devise in den Parteizentralen: „Wir können uns alles vorstellen, aber das sagen wir nicht.“ Die taktische Lage ist also diffus. Werfen wir daher einen Blick auf die inhaltliche Ausrichtung der Parteien. Wenn man schon nicht sagen kann, wer am Ende mit wem regiert, ist zumindest klar, wer für welches Thema steht.

SPD und Grüne legen erkennbar einen Schwerpunkt auf soziale Themen. Sie betonen die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich. Sie geißeln, dass immer mehr arbeitende Menschen von Niedriglöhnen nicht leben können. Sie wollen Profiteure der Finanzindustrie für die Krisenkosten zahlen lassen.

Dafür bieten sie einige richtige Instrumente an: einen Mindestlohn, einen höheren Spitzensteuersatz bei gleichzeitiger Entlastung unterer und mittlerer Einkommen, eine Vermögensabgabe für Millionäre. Aber ob das reicht, um die beliebte Kanzlerin aus dem Amt zu hebeln?

Merkel, die Meisterin des politischen Bluffs, ist ja nicht faul und verringert geschickt mögliche Angriffsflächen. So plädiert Merkels CDU inzwischen auch für einen Mindestlohn, und die Arbeitsministerin darf für höhere Renten für Niedrigverdiener werben. Bei genauem Hinsehen sind solche Versprechen Fassade und keine tatkräftige Politik: Die Lohnuntergrenze ist so gestrickt, dass eine Friseurin weiter für einen Tariflohn von gut 4 Euro arbeiten müsste, und Ursula von der Leyen vertritt in der CDU eine Minderheitsposition.

Dennoch befördern solch sozial anmutende Inszenierungen in bürgerlichen Milieus eine Stimmung, die Merkel nutzt: Wir stehen für wirtschaftliche Stabilität – und kümmern uns dabei auch um die sozialen Probleme. Die Unterprivilegierten fallen bei uns modernen CDUlern nicht durch den Rost.

Das Gefühl der Mitte treffen

Diese Devise wäre natürlich schwerer durchzuhalten, meldeten sich diejenigen politisch zu Wort, die von einem Mindestlohn tatsächlich profitierten. Doch die Wahlbeteiligung von Niedrigverdienern und Arbeitslosen geht zunehmend gegen null. Also muss die Politik sie auch nicht mehr fürchten. Die Wahl gewinnt deshalb der, der das Lebensgefühl der deutschen Mittelschicht trifft. Und ob sich die Mittelschicht ernsthaft für die soziale Frage interessiert, ist noch offen.

Während Rot-Grün 1998 nach 16 Jahren Helmut Kohl genau diese kulturelle Hegemonie in der Mitte besaß, sieht es heute anders aus. Merkel genießt auch in der rot-grünen Wählerschaft große Anerkennung, ihr unprätentiöser Stil trifft einen Nerv. Der Mitte geht es gut in Deutschland, die europäische Krise ist scheinbar weit weg. Die Geldgier und die Korruption der südeuropäischen Eliten lassen sie den Kopf schütteln. Warum also jemand anderen zum Kanzler machen?

Zumal just die politische Alternative, der SPD-Kanzlerkandidat, mit immer neuen Volten aufwartet, die alle um Geld und persönliche Eitelkeit kreisen. Also die Mittelschicht auf doch recht unschöne Weise spiegeln.

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17 Kommentare

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  • MS
    michael soelken

    liebe leute.wenn ihr an demokratie glaubt handelt entsprechend.demokratie fordert mehrheitsentscheidungen.also muss man diese schaffen. wie? kreuzt im september entweder die linke oder die piraten an.lasst die etablierten links liegen.keiner weiss was dann passiert,aber es passiert was,entlich.alles andere ist in dieser lobbiiestischen diktatur bullshit.die wenigsten werden diesen gedanken verstehen,denn es verlangt ein totales umdenken dass den meisten so schwerfaellt.

  • V
    vic

    Eigentlich wollte ich nicht mehr taktisch wählen.

    Nun aber bekommt meine Stimme die Partei, die am ehesten Merkel stürzen kann. Das wäre ein Fest für mich.

  • O
    Ott-one

    So ist das auch beim Pokern, wer schlechte Karten hat, kann nur nuch bluffen und hoffen, das der Gegner irritiert sich geschlagen gibt.

    Ist das nicht das gleiche Spiel in der politischen Landschaft? Hauptsache es wird alles glaubhaft verkauft, besonders dem unwissendem Bürger. Da liegt der Hase im Pfeffer!

  • W
    wauz

    Welche Linkspartei?

     

    Achja, es gibt da eine Partei, die sich "Die Linke" nennt. Einige ihrer Akteure kenne ich persönlich. Die waren früher in der SPD und haben sich seither nicht geändert. Ich kenne auch einige der Akteure der SPD. Die sind auch noch so, wie sie vor 20 Jahren waren. Das Einzige, was sie wesentlich von ihren ehemaligen Genossen unterscheidet, ist, dass sie einige partei-interne Wahlen gewonnen haben und auf ein paar Listenplätze gerückt sind, die denen, die jetzt bei der Linkspartei sind, versperrt blieben.

    Die SPD und Die Linke sind immer noch ein und dasselbe. Dieselben Leute, dieselben Sprüche, dieselben Streitereien.

  • S
    Slobo

    Exzellente Analyse!

  • C
    cassandra

    Woher nimmt der Visionär Schulte die Feststellung, die Wahlbeteiligung der Arbeitslosen und Niedriglöhner geht gegen Null? Und das 9 Monate im voraus!

    Der teuren Inszenierung des Mittelschichtlagers kann der angeblich einflusslose Unterschichtwähler immerhin seine bescheidnene Stimme entgegensetzen. Links von der Mitte. Und die taz möge bitte wie in ihren lange verflossenen Gründungsjahren eine lesbare Distanz zum Einheitsbrei der "Regierenden" entwickeln. Oder gilt in der Rudi Dutschke Straße der Anarchovers: Wahlen ändern nichts, sonst wären sie verboten?

  • A
    aleister

    "Linke" wählen!

     

    egal, was man von manchen akteuren halten mag...die spd sollte sich dringendst mal neu sortieren (nicht, dass sie nicht genügend zeit und anlässe gehabt hätte). ich glaube, die haben den schuss nämlich immer noch nicht gehört...

  • A
    antares56

    "nur dass Politiker nicht allein den Gegner täuschen, sondern auch die WählerInnen"

    Das stimmt so nicht! Der "Gegner" weiss eigentlich Bescheid. Getäuscht und betrogen werden immer nur die Wähler! Dafür leben die meisten Politiker.

  • J
    jan

    Wie Kommentator Alexander schon richtig bemerkt hat, gibt es tatsächlich zwei Lager: das neoliberale Kartell aus CDU, SPD, Grüne und Teepartei, bei denen die Unterschiede ausschliesslich in der Dreistigkeit bestehen, mit der sie ihre wahre Agenda leugnen, sowie auf der anderen Seite die Linkspartei.

  • M
    mia

    Herr Schulte!

     

    Der letzte Satz ist eine feine Einleitung für eine weiterführende spannende Lektüre. Und dann ist es der letzte Satz. So nicht! Weiterschreiben!

  • D
    Detlev

    Es wird auch 2013 ein Jahr des Absaufens, der Nicht-Spannung werden - denn der Wähler weiß, er hat keine Wahl. Viele SPD-Kandidaten werden sich abstampeln und dennoch praktisch chancenlos sein, denn es geht um Nichts, außer eben die eigene Karriere, ein Nachteil für viele Kandidaten. Das dürfte der Aspekt sein, denn keiner im Vordergrund sehen will.

     

    Bleibt allenfalls die Frage, ob die Piraten auf diesem Frustgefühl der Wähler in den Bundestag reiten können - das würde wohl für Spannung sorgen können. Aber grundsätzlich verspielt 2013 Deutschland eine wichtige Reformchance und die neue Zielmarke heißt 2017 - wobei die Kernfrage dazwischen darum kreist: Wie reformfredig und mutig ist eigentlich die CDU? Kippen sie den Hartz-Irsinn, die Leiharbeit, die teuren und nutzlosen Jobcenter oder bleiben sie dabei, dass alles gut ist und noch besser wird?

     

    Wenn es mit Ursula von der Leyen, Schäuble und Merkel weiter geht, dann wird Deutschland in den nächsten Jahren in einem stagnativen, depressiven Zustand geführt.

  • A
    Alexander

    Das Synonym für soziale Gerechtigkeit, Kampf gegen Hartz IV, für Mindestlöhne, gegen Leiharbeit, heißt Partei Die Linke.

    Wegen dieser Forderungen wurde die Linkspartei seit vielen Jahren bis heute von allen anderen Parteien, auch SPD und Grüne, ausgegrenzt und angefeindet.

     

    Wahrheitswidrig schreibt die taz: "SPD und Grüne legen erkennbar einen Schwerpunkt auf soziale Themen. Sie betonen die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich. Sie geißeln, dass immer mehr arbeitende Menschen von Niedriglöhnen nicht leben können. Sie wollen Profiteure der Finanzindustrie für die Krisenkosten zahlen lassen." In Worten statt in Taten, denn wie sagten die führenden Initiatoren der Rot-Grünen Schröder-Regierung, als sie ihre unsoziale Politik durchsetzten: Es sei „unfair“, die SPD an ihren Wahlkampfversprechen zu messen.

     

    Die taz schreibt weiter: "Dafür bieten sie (SPD & Grüne) einige richtige Instrumente an: einen Mindestlohn, einen höheren Spitzensteuersatz bei gleichzeitiger Entlastung unterer und mittlerer Einkommen, eine Vermögensabgabe für Millionäre."

     

    Wer stimmte aber seit vielen Jahren gegen die entsprechenden Initiativen der Linkspartei im Deutschen Bundestag? Es waren doch SPD und Grüne, die regelmäßig GEGEN diese genannten richtigen Instrumente auftraten und in den vielen Jahren ihrer Regierungszeit das Gegenteil initiierten, statt dieses mit ihrer Mehrheit durchzusetzen.

     

    Fazit: Wer nicht nur einmal sondern gleich mehrmals lügt und dann noch als Kandidaten die Politiker von einst wie Steinbrück und Göring-Eckardt präsentiert, dem glaubt man nie wieder!

     

    Dann wählt man das Original für soziale Gerechtigkeit: die Linkspartei.

  • D
    dillinger

    "Doch die Wahlbeteiligung von Niedrigverdienern und Arbeitslosen geht zunehmend gen null."

     

    Gen NULL?

     

    Geht zunehmend zurück, ja, das mag sein, aber dass Niedrigverdiener und Arbeitslose überhaupt nicht wählen? Wer hat Ihnen denn den Flo ins Ohr gesetzt?

     

    Sie lassen sich in ihrem Artikel nicht gerade freundlich über die Mittelschicht aus, Herr Schulte (siehe besonders den letzten Absatz). Aber auch Sie sind ein Teil dieser Mittelschicht. Arrogant, abgehoben, überheblich. Nicht nur Herr Rösler verachtet die Nicht- und Geringverdiener, auch Sie tun das. Sie sollten sich schämen. Ich bin sehr enttäuscht!

  • T
    T.V.

    Statt wählen gehen: mal ein Theater besuchen, da spielen sie besser.

  • DP
    Daniel Preissler

    guter Text, Herr Schulte!

     

    Als kleine Anmerkung sei gestattet, dass ich Ihre Auflistung

    schwarz-rot

    schwarz-grün

    rot-grün-gelb

    ebenfalls im Sinne des Lagerdenkens geblufft finde (sozusagen sekundär ;-)).

    Die Ampel wird es ganz sicher nicht geben. Es wirkt auf mich, als hätten Sie die aus Gründen des Ausgleichs im Bereich Selbsverleumdung/über den eigenen Schatten springen (je nach Gusto) gegenüber schwarz-grün mit aufgenommen (Pardon!). Da wäre dann doch selbst rot-grün-rot wahrscheinlicher.

     

    Aber was soll das Ganze, es kommt eh die große Koalition. Dieses Vorwissen ist zwar reichlich desillusionierend, birgt aber den Wahnsinnsvorteil, dass man dadurch mit der Erststimme machen kann, "was man will", wodurch die Genossen vielleicht endlich mal begreifen, was ihnen (nicht) gehört.

     

    In manchen Wahlkreisen könnte das wiederum spannend werden.

     

    Grüße aus Freiburg,

    DP

  • Z
    zensiert

    treffender Artikel! Danke

  • T
    tazitus

    "..der Lagerwahlkampf pure Inszenierung. Doch die wird erst nach der Wahl in Niedersachsen richtig losgehen...."

     

    Das Publikum will es so. Es liebt Comedy.