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Wahlen in der Türkei„Das Parlament wird meine Nachrichtenstation“

Der Investigativ-Journalist Ahmet Şık will in die Politik. Ein Gespräch über Journalismus, Wahlversprechen und die Möglichkeiten der Opposition.

Sieht stürmischen Zeiten entgegen: Investigativjournalist Ahmet Şık will ins Parlament Foto: dpa
Interview von Selin Asker

taz.gazete: Herr Şık, Ihr Name steht mittlerweile symbolisch für den Kampf um Pressefreiheit, Sie sind weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt. Jetzt kandidieren Sie als Abgeordneter für die prokurdische Partei der Völker (HDP). Ist es nicht schwer, dem Journalismus nach 20 Jahren im Beruf den Rücken zu kehren?

Ahmet Şık: Klar, es schmerzt. Journalismus ist, wenn man den Job ordentlich macht, unheimlich wertvoll. Es gibt in unserem Beruf dieses sich wiederholende Narrativ, dass Journalismus objektiv zu sein habe. Aber es gibt nun mal Unterdrücker und Unterdrückte. Ich war immer auf der Seite der letzteren und deshalb parteiisch. Im Journalismus geht es doch im Grunde darum, Tatsachen nicht zu verdrehen und stets das richtige Maß an Sachlichkeit zu bewahren. Das will ich auch im Parlament weiterhin beachten. Das Rednerpult wird meine Nachrichtenstation. Und als Abgeordneter habe ich noch einmal andere Möglichkeiten, andere Netzwerke anzuzapfen.

Aber wie kommt ein Journalist dazu, Politiker zu werden?

Wir leben in schwierigen Zeiten: Medien stehen unter hohem Druck, mehr als 100 Journalisten sitzen im Gefängnis. Die Justiz hat sich zum Handlanger der Regierung gemacht. All dies macht es äußerst schwer, journalistisch zu arbeiten. Es geht gar nicht so sehr darum, Politik zu machen. Vielmehr ist meine Kandidatur die Reaktion auf äußerst schwierige Zeiten, in denen sich das Land befindet. Im Parlament führe ich also nur fort, was ich bereits als Journalist getan habe, auf Missstände hinweisen, die in den regierungsnahen Medien ignoriert werden. Als Abgeordneter erreiche ich eine breitere Öffentlichkeit.

Haben Sie diese Hindernisse in der journalistischen Arbeit selbst zu spüren bekommen?

Seit ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, will sich niemand mehr mit mir treffen. Meine Quellen legen auf, wenn ich sie anrufe. Oder lassen über Dritte ausrichten, dass ich alle Nachrichten von Ihnen löschen soll. Sie sind nicht Anhänger der Regierung, arbeiten aber für sie und haben Angst, ihre derzeitigen Annehmlichkeiten zu verlieren. All das waren Faktoren, die mich dahin geführt haben, meinen Beruf an den Nagel zu hängen. Ich denke, ich werde nicht mehr zurückkehren können. Ich selber habe die Tür zugeschlagen und werde als Politiker weitermachen. Entweder werde ich am Ende maßlos enttäuscht sein – oder ich werde meinen Traum verwirklicht sehen.

Die HDP steht für einen ganz klar prokurdischen Kurs. Können Sie sich damit identifizieren oder ist Ihre Kandidatur für diese Partei eher zufällig?

Ich identifiziere mich mit keiner Partei zu hundert Prozent. Die HDP hat als Partei ein pluralistisches Selbstverständnis. Ich bin aber weder in der kurdischen Bewegung aktiv, noch teile ich alle ihre Ansichten. Diese habe ich offen zur Sprache gebracht und angedeutet, dass dies in Bezug auf meine Kandidatur ein Problem für sie darstellen könnte. Es hieß, ich könne denken und sagen, was ich will. Meiner Ansicht nach ist Oppositionspolitik noch am ehesten in der HDP möglich. Ich möchte nicht arrogant klingen, aber manche glauben, dass meine Aufstellung der HDP dazu verhilft, die 10-Prozent-Hürde bei den kommenden Wahlen zu knacken.

Es gibt ein Wahlbündnis aus vier Oppositionsparteien. Die HDP ist nicht Teil davon. Wenn schon die Opposition ein Problem mit Ihrer Partei hat, wie soll dann eine amtierende Regierung den Dialog mit der kurdischen Bewegung suchen?

Wenn das oppositionelle Wahlbündnis für ein diverses gesellschaftliches Miteinander stehen will, dann hätte es die HDP nicht ausschließen dürfen. So einfach ist das. Ich lehne jede Form von Nationalismus ab. Besser wäre eine Strategie, die auf gemeinsamen Werten basiert. Der Konflikt zwischen der türkischen Regierung und der kurdischen Bevölkerung kann nicht mit Waffengewalt, sondern nur durch einen politischen Dialog gelöst werden. Ich bin für erneute Friedensverhandlungen mit dem gebührenden Respekt für den jeweiligen Verhandlungspartner. Wer das befürwortet, sollte mit am Verhandlungstisch sitzen.

Kritiker glauben, dass selbst im Falle eines Wahlsiegs von Erdoğan die Wirtschaft weiterhin kriseln wird. Und dass er im Fall einer Niederlage sein Amt als Staatspräsident trotzdem nicht räumen wird. Was sagen Sie?

Seine bisherigen schrecklichen Taten sind ein Garant für das, was noch kommen wird. Die Menschen sind zurecht besorgt. Ich will nicht den Weissager spielen, aber die Regierung ist in Panik. Nach außen gibt sie sich geschlossen und standhaft, das Gebilde hat aber zu viele Risse. Schauen wir doch nach den Parlamentswahlen, wer alles das sinkende Schiff verlassen wird.

In einem Interview sagten Sie, nach der Wahl werde in der Türkei eine „Zeit der Restauration“ beginnen. Was genau meinen Sie damit?

Ich denke, dass Erdoğan verlieren wird. In diesem Fall wird eine Zeit des Aufbaus anbrechen. Zumindest das Bemühen darum, grundlegende Freiheitsrechte wieder herzustellen und gemeinsame Werte zu formulieren. Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, in die Politik zu gehen. Aber wir leben in einer Zeit, in der wir uns Herausforderungen stellen müssen. Außerdem reicht es auch mal mit der AKP.

Und wenn Erdogan weg ist, dann sind alle Probleme gelöst?

Nein, natürlich nicht. Sowohl Erdoğan als auch die AKP, sind Folgen des tyrannischen Systems, das wir Neoliberalismus nennen. Die Ursache aller Probleme ist die Ungleichheit. Solange kein Gesellschaftsmodell diese Ungleichheiten aufhebt, werden alle, die nach Erdoğan kommen, ihre eigenen Erdoğans hervorbringen. Aber selbst wenn die nächsten Übeltäter an die Macht kommen sollten – auch gegen sie werden wir uns stellen.

Kommen wir zurück zu Ihrer Kandidatur. Fühlen Sie sich gut gerüstet?

Viele meiner befreundeten Kollegen unterstützen mich. Sie waren es auch, die mich während meiner Zeit im Gefängnis unterstützt haben. Und jetzt wollen sie den Mann, den sie aus dem Gefängnis herausgeholt haben, ins Parlament hieven (lacht).

Liegt Ihnen der Wahlkampf?

Ganz ehrlich, es ist anstrengend, ich bereue meine Entscheidung schon jetzt (lacht). Ich träume von einem Land, in dem Menschen nicht umständliche Methoden in Anspruch nehmen müssen, um sich politisch zu artikulieren. Politik machen sollte einfacher sein.

Und wie sieht es mit Ihren Wahlversprechen aus?

Es kann nur ein Versprechen geben: Falls Du mir Deine Stimme gibst, werde ich deine Stimme im Parlament sein. Ab dem Moment, wo ich das nicht tue, hast Du das Recht, zu fragen. Es heißt ja nicht umsonst „Volksvertreter“. Wichtig ist doch, dass Ungerechtigkeiten durch uns sichtbar gemacht werden und wir daran arbeiten, dass wir diese Probleme lösen. Ich könnte jetzt tönen, dass ich eine achtspurige Straße auf dem Mond bauen lasse, aber das würde mir eh niemand glauben. Ich bin kein guter Lügner (lacht).

Übersetzt von Canset İçpinar

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