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Wahlen in VenezuelaVenezuela am Wahltag

Am Tag der Wahl haben viele Ve­ne­zo­la­ne­r:in­nen Angst vor Wahlbetrug. Der Herausforderer González könnte sich gegen Amtsinhaber Maduro durchsetzen.

Menschen winken von einem Balkon, der mit der venezolanischen Flagge geschmückt ist Foto: Carlos Eduardo Ramirez/REUTERS

Caracas taz | Am Tag der Wahl ist Oma Ana Ortega vor 6 Uhr aufgestanden. Sie ist 82 Jahre alt und fast blind. Aber wählen gehen wollte sie unbedingt. Vor 7 Uhr war sie an der Schule im Stadtteil La Quebradita in Caracas, da war schon eine Schlange vor dem Wahllokal. „Aber es ging schnell“, sagt sie.

Ortega heißt eigentlich anders. Ihren echten Namen möchte sie lieber nicht in der Zeitung lesen. Am Arm ihrer Enkelin geht sie an dem Soldaten mit dem Gewehr vorbei in die frisch gestrichene Schule. Ihre Enkelin drückt wegen ihrer Sehschwäche auch für sie den Wahlknopf. „Für den anderen; der nicht Maduro ist“, sagt Ortega, denn den autoritären Präsidenten Venezuelas hält sie für einen „furchtbaren Mann, hier verhungern die Menschen. Es reicht.“

40 Jahre hat Ortega in einer Schnapsfabrik geschuftet und Kisten geschleppt. Heute bekommt sie 3 Dollar Rente. Dafür könne sie sich nicht einmal Brot kaufen. Ohne die Unterstützung ihre Töchter und Enkelinnen wäre sie verloren.

Herausforderer González hat große Chancen

Ortega hat für Edmundo González Urrutia gestimmt. Der 74-jährige Ex-Diplomat hat große Chancen, Amtainhaber Nicolás Maduro nach elf Jahren zu schlagen. Vor allem, weil die Oppositionsführerin Maria Corina Machado, die selbst nicht antreten durfte, die Opposition hinter sich und damit hinter González geeint hat. Ihre An­hän­ge­r:in­nen verehren sie wie einen Messias.

Der erste Eindruck in Caracas: Es könnte eine Rekordwahlbeteiligung geben. Morgens, als die Karibiksonne schon hemmungslos knallt, stehen Menschen hunderte Meter Schlange, teils stundenlang. Sie haben Getränke, Essen, Plastikhocker und Klappstühle dabei. An einer Schule im Stadtteil El Paraíso tragen einige in der Schlange T-Shirts mit dem Aufdruck „Venezuela“.

Auf der Stadtautobahn in Caracas hängt praktisch an jedem Laternenmast ein Wahlplakat von Nicolás Maduro. Dazu kommt seit Neuestem streckenweise Mast für Mast darunter ein blaues Plakat des nationalen Wahlrats. „Willkommen, internationale Wahlbeobachter“ steht darauf.

Dabei ist die internationale Wahlbeobachtung minimal. Die geplante EU-Mission hatte das Regime kurzerhand wieder ausgeladen. Ein Grüppchen von EU-Parlamentariern soll auf Einladung im Land sein, dazu eine eingeschränkte UN-Mission. Die Opposition sagt: 51 von ihr eingeladene internationale Wahlbeobachter seien entweder an der Einreise gehindert oder vorübergehend festgenommen worden.

Exil-Venezolaner:innen an Wahl gehindert

Die kolumbianische Senatorin Angélica Lozano, Ehefrau der ehemaligen grünen Bürgermeisterin von Bogotá, machte über ihre sozialen Medien ihrer Empörung Luft. Sie wurde nicht ins Land gelassen, ihr Pass wurde weggenommen. Im Nachbarland Kolumbien, wo heute mit rund 3 Millionen die meisten der 7,7 Millionen ausgewanderten Ve­ne­zo­la­ne­r:in­nen leben, wird die Wahl mit großer Spannung verfolgt.

Den Landsleuten im Exil wurde es durch bürokratische Hürden praktisch unmöglich gemacht, mitzustimmen, wohl aus Befürchtung, sie würden für die Opposition stimmen. So dürfen von den fast 3 Millionen Ve­ne­zo­la­ne­r:in­nen in Kolumbien nur etwa 7000 wählen.

Noch wichtiger als die begrenzte internationale Wahlbeobachtung ist die Nationale. Die Opposition hatte im Vorfeld verkündet, für rund 90 Prozent der Wahltische Wahl­zeu­g:­in­nen organisiert zu haben. Am Sonntagvormittag kursierten erste Berichte, dass ihnen zum Beispiel im Staat Miranda der Zugang zu Wahllokalen verwehrt wurde.

Probleme mit Stromversorgung in Wahllokalen

Dort habe es außerdem seit 40 Stunden keinen Strom gegeben, die Wahlautomaten würden immer wieder ausfallen. Das Risiko für Manipulationen steigt dort, wo die Wahltische klein sind, die soziale Kontrolle umso größer und die Stromversorgung schwierig sind. Denn wo es keinen Strom gibt, wird rein per Papier abgestimmt.

Oppositionsführerin Mará Corina Machado hatte am Vortag über ihre sozialen Netzwerke einen Post zur Taktik für den Wahltag abgesetzt. Der Tag der Freiheit nähere sich, sagt sie darin.

Theoretisch müssen die Wahllokale von 6 Uhr morgens bis 18 Uhr abends offen sein. Stehen allerdings noch Menschen davor Schlange, haben sie das Recht, auch noch später ihre Stimme abzugeben. Bislang erfolgte der Betrieb überwiegend reibungslos.

Unklar ist, ob Maduro das Ergebnis im Falle einer Niederlage anerkennt. Der schlimmste Fall wäre, wenn dieser sich zum Sieger erklärt, bevor das offizielle Ergebnis vorliegt. Dann könnte es zu Protesten kommen – auch wenn die Opposition ihren An­hän­ge­r:in­nen einschärft, dass es unbedingt friedlich bleiben muss.

Angst vor Protesten nach der Wahl

Maduros gleichnamiger Sohn, der ebenfalls Posten im Regierungsapparat innehat, sagte diese Woche in einem Interview mit der Zeitung El País, dass die Regierung das Wahlergebnis akzeptieren werde. ­ Aber auch, dass alle Umfragen ihren Sieg voraussagten.

Für Oma Ana hat ihre Enkelin vorsichtshalber eingekauft: Wasser, Kerzen und Essen, falls Strom und Wasser ausfallen und die Läden dichtmachen sollten. Auch ist fraglich, wie stabil das Internet am Wahltag bleibt und ob sich die Menschen sich etwa per Whatsapp informieren können – Zensur und Falschmeldungen zum Trotz.

Ein Taxifahrer sagt, er fahre seit Woche praktisch nur Leute, die für die Opposition stimmen wollen. „Selbst die Chavisten haben genug von Maduro.“ Auf der Autobahn strahlt dieser überlebensgroß von einem Plakat: „Mehr Wandel und Transformationen“ verspricht es. „Sie hatten 25 Jahre Zeit dafür, es reicht“, sagt der Taxifahrer.

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