Wahlen in Sachsen-Anhalt: Der Haseloff von der CDU
Unions-Spitzenkandidat Reiner Haseloff wird von manchen CDUlern als "Herz-Jesu-Marxist" verspottet. Aber schon bald könnte der Physiker das Land regieren.
Der Notizzettel bleibt unter dem Namen "Haseloff" lange leer beim MDR-Fernsehtalk mit den Spitzenkandidaten zur Landtagswahl am kommenden Sonntag. Der bisherige CDU-Wirtschaftsminister Reiner Haseloff, obschon promovierter Physiker, hat Mühe, die Dinge auf den Punkt zu bringen.
Er verstolpert sich, als er die Mindestlohnfrage mit der DDR-Planwirtschaft vergleicht, klammert sich an wenige positive Signale wie die gesunkene Arbeitslosigkeit, einzelne Branchen mit Lohnzuwächsen oder Monate, in denen einmal weniger als die durchschnittlich 2.000 Sachsen-Anhalter das Land gen Westen verlassen.
Haseloff ist alles andere als ein Frontmann oder ein Showtalent. Nicht einmal bei Heimspielen wie am Politischen Aschermittwoch wirkt er so souverän, locker und knorrig-witzig wie der scheidende Ministerpräsident Wolfgang Böhmer. Dabei könnte der 57-jährige Haseloff kurioserweise als dessen politischer Ziehvater gelten, denn in den Neunzigern hatte er ihn zur Landtagskandidatur in Wittenberg überredet.
Nun aber soll Haseloff in Böhmers großen Anzug schlüpfen. Nach den letzten Wahlumfragen dürfte die CDU auch stärkste Partei am kommenden Sonntag in Sachsen-Anhalt werden. "Unser neuer Ministerpräsident", plakatiert die Union. Tatsächlich sah es lange so aus, als werde die CDU weiter in einer großen Koalition mit der SPD regieren. Doch seitdem die SPD in Umfragen mit der Linkspartei gleichzieht, ist auch Rot-Rot denkbar - für die SPD ist entscheidend, dass sie in einer solchen Koalition mit Jens Bullerjahn selbst den Ministerpräsidenten stellt.
Schwarz-Rot oder Rot-Rot?
Sicher ist für Haseloff also noch nichts. Wohl hat sich die CDU vom Umfragetief des vorigen Herbstes erholt, als sie bei 30 Prozent gleichauf mit der Linken lag. Aber bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten bliebe Haseloff hinter SPDler Bullerjahn, der im Moment Finanzminister ist, zurück. Und besonders großen Einsatz zeigt Haseloff in diesem Kuschelwahlkampf auch nicht. In der Schlusswoche vermerkt sein Kalender nur einen Termin - den Abschluss am Freitag mit der Kanzlerin. "Das Geheimnis des ostdeutschen Wählers hat sich noch nicht erschlossen", spielt Haseloff selber auf dessen Unberechenbarkeit speziell in Sachsen-Anhalt an.
Es fällt auf, wie oft Haseloff Ost-West-Kategorien bemüht. Der 57-jährige Katholik meint damit vor allem seine DDR-Sozialisation, auf die er spürbar stolz ist. Nicht auf das System damals, denn obschon er bereits 1976 der damaligen Block-CDU Ost beitrat, ist die heutige Linkspartei für ihn ein rotes Tuch.
Haseloff wurde erst nach 1989 politisch aktiv. Als Mission der Ossis sieht er es auch im Jahre 21 nach der Wende an, "die festgefahrene Bundesrepublik aufzubrechen und die Wessis zu liebenswerten Menschen zu machen". Das sagte er am Aschermittwoch in Darlingerode. In dieser Bodenständigkeit ist er mit Böhmer vergleichbar. "Unlauterkeit, Hinterhältigkeit und fehlende Verlässlichkeit kotzen mich an", sagt Haseloff. Das könnte Punkte bringen.
Jede Menge Wohltaten
Inhaltlich hat der CDU-Spitzenkandidat in letzter Minute ein 10-Punkte-Sofortprogramm aufgestellt, das ihm in den eigenen Reihen Lästereien wie "Herz-Jesu-Marxist" einbringt. Eine Menge teurer Wohltaten, Mindestlöhne, freie Kitas ab dem zweiten Kind, Sport- und Theaterförderung, Hochschulförderung, stabile Polizeistellenzahl, Investitionen und solide Kommunalfinanzen.
Das Modell der Bürgerarbeit für Langzeitarbeitslose hat der Wirtschaftsminister zwar nicht erfunden, aber in Sachsen-Anhalt bahnbrechend erprobt. Vage ist auch er für längeres gemeinsames Lernen in der Schule, wenn auch gegen ein neues Schulsystem. Deutlicher spricht sich Haseloff nach dem japanischen Desaster für einen "schnellstmöglichen Atomausstieg" aus, er befürwortet inzwischen sogar ein NPD-Verbot.
Wie viele Stimmen das bringt, wird sich am Sonntag zeigen. Nicht ungeschickt verteilt die Union Kaffeetüten der DDR-Marke Mona, auf die Haseloffs Spitzname "Black Hasi" gedruckt ist. Kaffee trinken die meisten gern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Desaströse Lage in der Ukraine
Kyjiws Wunschzettel bleibt im dritten Kriegswinter unerfüllt