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Wahlen in RusslandWeniger Stimmen trotz Wahlbetrug

Bei den Kommunal- und Regionalwahlen bleibt die Partei von Putin Sieger, verliert aber deutlich an Stimmen. Auch Manipulationen können daran nichts ändern.

Die Wahlurne wird geschlossen in Azov, Südwestrussland. Bild: reuters

MOSKAU taz | Wäre Russland eine halbwegs funktionierende Demokratie, hätte Wladimir Putin, Vorsitzender der Partei "Vereinigtes Russland" (VR), allen Grund zum Frohlocken. Aus 3.300 Wahlen auf Kommunal- und Regionalebene ging die Staatspartei am Wochenende als klarer Sieger hervor. Rund 50 Prozent der Wähler gaben der VR ihre Stimme.

Zweitstärkste Kraft wurden die Kommunisten mit etwas mehr als 20 Prozent. Weiter abgeschlagen landete die vom Kreml gegründete Oppositionspartei "Gerechtes Russland" mit vorläufig rund 15 Prozent. In einer parlamentarischen Demokratie wären 50 Prozent Zuspruch nach zehn Jahren Alleinherrschaft ein überwältigender Vertrauensbeweis. Für die Staatspartei, die bislang mit satten Zweidrittelmehrheiten verwöhnt wurde, kommt dieses Ergebnis jedoch einer empfindlichen Schlappe gleich.

Nur noch in der bevölkerungsarmen Region Tschukotka an der Beringstraße und im vom Terrorismus heimgesuchten Dagestan im Nordkaukasus erreichte die VR mit 71 und 66 Prozent Mehrheiten, derer sie sich nicht schämen müsste, wären sie nicht manipuliert. In diesen fernen Regionen hängt das Ergebnis erfahrungsgemäß eher vom Auszähler als vom Wählerwillen ab.

In sieben von zwölf Wahlen zu den wichtigeren Gebietsparlamenten verpasste die Staatspartei die absolute Mehrheit. In Kirow und Twer in Zentralrussland sank sie unter 40 Prozent. In Kirow stimmten bei den Wahlen 2007 noch 450.000 Wähler für die VR, am Wochenende waren es nur 187.000. Ähnlich sah es auch in Twer aus. Im Vergleich zu den Dumawahlen vor vier Jahren verlor die VR 20 Prozent. Eine Dimension des Stimmenverlustes, die sich durch Manipulationen an der Wahlurne nicht mehr einfach korrigieren lassen.

Die Staatspartei war durch Umfragen vor dem Wahlgang auf ein schlechteres Abschneiden vorbereitet und reagierte dementsprechend nervös. Die Beobachter der NGO "Golos", die seit Jahren das Wahlprocedere überwacht, sprachen von einem "steilen Anstieg der Wahlverstöße" im Vergleich zu vorangegangen Urnengängen. Allein am Wochenende waren 700 Beschwerden aus den Provinzen gemeldet worden.

Einige der Manipulationen hätten laut Golos deutlichen Einfluss auf das Wahlergebnis genommen. Schon im Vorfeld hatten die Behörden unabhängige Kandidaten und Vertreter demokratischer Parteien aus fadenscheinigen Gründen von der Teilnahme ausgeschlossen. Dies lässt den VR-Sieg in noch trüberem Licht erscheinen.

Premier Putin kündigte unterdessen an, alle Parteifunktionäre, die Verluste einfuhren, auszuwechseln. Eine Maßnahme, die wenig Wirkung zeigen und auch dem Ruf der VR nicht nützen dürfte.

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7 Kommentare

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  • S
    Sergej

    Traurig das die Russen nichts aus der Sowjetdiktatur gelernt haben und wieder den Kommunisten ihre Stimmen geben. Aber das sollten die Wahlbeobachter nochmal ganz genau hinschauen, ich kann mir nicht vorstellen das die Russen so dumm sind, da wurde wohl manipuliert, mehr als 10 hatten die Kommunisten bestimmt nicht!

  • PB
    Peter Bitterli

    Aber "Lars"! Ich habe Ihnen schon oft gesagt, dass die Totschlagphrase vom "lupenreinen Demokraten" inzwischen vollkommen abgestanden ist, wobei sie zu keinem Zeitpunkt wirklich in irgendeine Richtung irgendeine Bedeutung oder gar Beweiskraft hatte. Was genau wollen Sie uns sagen, wenn Sie sie brauchen?

    Die NGO "Golos" ist im übrigen der "Helsinki-Gruppe" zuzuordnen. Diese ist massiv aus Europa und den USA gesteuert und gesponsort. Inhaltlich zeichnet sie sich dadurch aus, dass sie meint, immer noch in der Sovjetunion zu leben.

  • B
    Benz

    @Richard

    Wie gesagt- dass nach jedem Wahlsieg Putins oder von 'Einiges Russland' die üblichen Russlandkritiker laut 'Wahlbetrug' schreien, ist ein festes Ritual.

     

    Es gibt Leute, die weigern sich schlicht und einfach zu sehen, wie populär Putin ist. Sogar wenn es Umfragen und Wahlergebnisse bezeugen. Dann wird eben mit Betrugsvorwürfen operiert, damit das eigene Weltbild nicht ins Wanken gerät.

  • R
    Richard

    Ich frage mich was das für eine Manipulattion sein soll, wenn laut Artikel die Partei von Putin lauter Stimmenverluste eingefahren hat. Oder gab es gar keine Manipulationen? Wurde doch in der Ukraine vor der Orangenen Revolution auch ständig behauptet, was sich aber bei der letzten Parlamentswahlwahl komischerweise nicht beweisen lies. Ich finde es ein bißchen abenteuerlich hier die russischen Parlamentswahlen (2007) mit den Regionalwahlen (2011) zu vergleichen, weil die Wahlbeteiligung diesmal bei den Regionalwahlen bei 23% lag und bei den Parlamentswahlen betrug sie 63%. Putins Partei konnte sich diesmal in allen Regionen im Vergleich zu den letzten Regionalwahlen verbessern. Bei den Regionalwahlen 2007 konnte eine Region von Putins Partei nicht gewonnen werden, diesmal gingen alle Regionen an Einheitliches Russland. Putins Partei kam 2007 bei den Regionalwahlen auf 46% und diesmal waren es 50%. Deswegen meinte Putin auch, dass das Ergebnis "mehr als zufriedenstellend" war. Und nicht nur in Russland ist es üblich, dass nicht jeder zu einer Wahl zugelassen wird. Um bei einer Wahl mitmachen zu können, braucht man vorab eine gewisse Anzahl an Unterschriften. Wer nicht genug Unterschriften vorweisen kann, darf auch nicht bei der Wahl mitmachen. Ist in diesem Land nicht anders. Als TAZ'ler kann man ja Putin so hassen, wie man will, aber über die Regionalwahlen eines Landes manipulativ zu berichten, ist meiner Meinung nach völlig unnötig.

  • B
    Benz

    Es ist mittlerweile eine etablierte Tradition unter Putin-Gegnern, dass bei jedem Wahlsieg sofort laut ''Betrug'' gerufen wird. Doch ob das reicht, um den russischen Wähler dazu zu bringen, die Opposition zu wählen?

     

    Von denen haben nämlich nur die Kommunisten einiges Potential, sind in allen Regionen vertreten.

     

    LDPR- wegen ihres Chefs Schirinowksi und seiner Skandala für viele nicht wählbar.

     

    'Gerechtes Russland'- gilt als 'Einiges Russland' mit anderem Namen.

     

    Jabloko und SPS- Neoliberale habens in Zeiten von Finanzkrise schwer, auch hierzulande.

     

    Die ausserparlamentarische Opposition- Kasparov, Limonov usw.- bestehen aus 2-300 Aktivisten in Moskau, haben nicht mal eine landesweite Parteienorganisation, existieren hauptsächlich virtuell.

     

     

    Man sieht- es gibt eine ganze Menge von Gründen, warum Putins Partei 'Einiges Russland' so stark ist. Und falls deren Gegner auch weiterhin nichts weiter tun, als 'Wahlbetrug!' zu rufen und dem Wähler ansonsten nichts bieten, wird Einiges Russland auch so stark bleiben.

  • L
    Lars

    Wie könnt ihr nur sowas von einem "lupenreinen Demokraten" wie dem lieben Wladimir Wladimirowitsch P. behaupten, tstststs ...

  • SA
    Schaun an!

    Was Manipulation angeht, ist man aber auch hierzulande nicht grad zimperlich, gelle? Liebe Tazler_Innen, dranbleiben!

     

     

    BIW wollen Wahlbeobachter in Bremen

    Landtagsabgeordneter Jan Timke schreibt OSZE an

     

     

    BIW wollen Wahlbeobachter in Bremen

     

    Landtagsabgeordneter Jan Timke schreibt OSZE an

     

    Die konservative Wählervereinigung BÜRGER IN WUT (BIW) hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gebeten, Beobachter zur Bremischen Bürgerschaftswahl am 22. Mai 2011 zu entsenden. Begründet wird das Gesuch mit massiven Unregelmäßigkeiten, die bei der letzten Landtagswahl im Jahre 2007 aufgetreten waren.

     

    Nach der Bürgerschaftswahl vom 13. Mai 2007 hatten die BÜRGER IN WUT ein Wahlprüfungsverfahren angestrengt, das zahlreiche Verstöße gegen die gesetzlichen Vorschriften zutage förderte. Im Mai 2008 erklärte der Staatsgerichtshof Bremen den Urnengang wegen „gravierender Wahlfehler“ für teilweise ungültig. Da diese Mängel nicht durch eine bloße Nachzählung der Stimmen geheilt werden konnten, ordnete das höchste Bremer Gericht eine Neuwahl im Bremerhavener Stimmenbezirk Freizeittreff Eckernfeld an. Es war das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, daß eine Landtagswahl wegen nachgewiesener Fehler der Wahlorgane teilweise wiederholt werden mußte.

     

    Obwohl das Wahlprüfungsverfahren fast ein Jahr dauerte, wurde der Sachverhalt nie vollständig aufgeklärt. Der zuständige Wahlbereichsleiter für Bremerhaven, Ulrich Freitag (SPD), ist noch immer im Amt. Freitag trägt nicht nur die politische Verantwortung für das Wahlchaos. Er unterließ es auch, den Wahlbereichsausschuß über die regelwidrigen Vorkommnisse am Wahlabend zu informieren. Deshalb stellte das Gremium ein unrichtiges Wahlergebnis fest, das erst durch die gerichtlich verfügte Nachwahl korrigiert wurde. Außerdem kam heraus, daß Freitag in ...

     

    http://www.buerger-in-wut.de/cms/?d=pm&s=95