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Wahlen in KanadaTrump-Effekt im Nachbarland

Die Liberalen rund um Premier Mark Carney gewinnen die Wahl in Kanada. Der konservative Herausforderer Pierre Poilievre gesteht die Niederlage ein.

Überraschend klarer Wahlsieger: Kanadas liberaler Premier Mark Carney am Wahlabend Foto: Jennifer Gauthier/reuters

Toronto taz | In Kanada ist vergangene Nacht eine Realität eingetreten, die noch vor wenigen Monaten unmöglich schien: zum vierten Mal in Folge haben die Liberalen eine Parlamentswahl gewonnen. Der ehemalige Zentralbankchef Mark Carney, seit März als Nachfolger Justin Trudeaus im Amt, wird Premierminister bleiben.

Sein Herausforderer Pierre Poilievre, Parteichef der Konservativen, gestand seine Niederlage ein und gratulierte Carney zum Wahlsieg. Carneys Regierungspartei kam nach offiziellen Ergebnissen am frühen Morgen (Ortszeit) nach Auszählung von rund 95 Prozent der Wahllokale auf 43,2 Prozent der Stimmen, die Konservativen auf 41,7 Prozent. Die Liberalen erhalten demnach voraussichtlich 166 Sitze im Parlament – und bleiben damit knapp unter der absoluten Mehrheit von 172.

Lange hatte es so ausgesehen, als ob der jüngere und charismatische Rechtspopulist Pierre Poilievre mit seinem Versprechen eines neuen Zeitalters für Kanada Erfolg haben würde. Er lockte Wäh­le­r:in­nen mit angekündigten Steuersenkungen, der Abschaffung der unbeliebten CO₂-Steuer und dem Mantra, dass die Liberale Partei Kanada in Grund und Boden gewirtschaftet hätte. Damit gelang es Poilievre, neue Wählergruppen und junge Menschen für Politik zu begeistern und zu mobilisieren.

Aber als Donald Trump imperialistische Klänge im Stil Putins anstimmte und von Kanada als 51. US-Bundesstaat zu fantasieren begann, schlug die Stimmung um. Trump hatte Justin Trudeau noch während seiner Amtszeit öffentlich immer wieder als „Gouverneur Trudeau“ gedemütigt und Kanada damit rhetorisch in eine Reihe mit US-Gouverneuren gestellt. Mit Beginn seiner zweiten Amtszeit nahmen die Annexionsfantasien immer absurdere Züge an.

Für Kanada geht es um alles – vor allem gegen Trump

Carney ist ein Typus nüchterner, unaufgeregter Technokrat. Im Wahlkampf zitierten kanadische Medien gerne seine Aussage: „Gäbe es keine Krise, wäre ich nicht hier. Ehrlicherweise erweise ich mich in Krisenzeiten am nützlichsten, im Frieden tauge ich wenig.“

Als Premier kommen nun schwindelerregende Aufgaben auf ihn zu. „Amerika will unser Land, unsere Ressourcen, unser Wasser. Präsident Trump will uns brechen, um uns zu besitzen“, sagte Carney, als er nach seinem Wahlsieg ans Mikrofon trat. Er sprach von einer Welt, die sich über Nacht fundamental verändert habe.

Um eine Mehrheitsregierung zu bilden, hätten die Liberalen 172 der 343 Sitze im Unterhaus gewinnen müssen. Jetzt werden sie wohl eine Minderheitsregierung bilden und sich die Unterstützung kleinerer Parteien wie der NDP suchen, um Gesetze durchzubringen.

Dass es für ihr Land um alles geht, daran erinnerte Donald Trump die Kanadierinnen und Kanadier auch am Wahltag. Auf seiner Onlineplattform Truth Social forderte er sie auf, den Mann zu wählen, der „die Kraft und Weisheit besitze, ihre Steuern und ihre Militärmacht kostenlos auf das höchste Niveau der Welt zu steigern und ihre Auto-, Stahl-, Aluminium-, Holz-, Energie- und alle anderen Industriezweige zu vervierfachen, ohne Zölle oder Steuern, wenn Kanada der begehrte 51. Bundesstaat der Vereinigten Staaten von Amerika wird. Schluss mit der vor vielen Jahren künstlich gezogenen Grenze. So hat es immer sein sollen.“

Die wirtschaftlichen Probleme bleiben

Die Grenze zwischen den USA und Kanada ist fast 8.900 Kilometer lang und damit weltweit die längste zwischen zwei Staaten. Fast achtzig Prozent aller Exporte Kanadas gehen in die USA. Der Zollkrieg tut Kanada mehr weh als den USA.

Jetzt liegt die Hoffnung auf Mark Carney, Donald Trump die Stirn zu bieten. Dazu wird er mit der Gegenseite verhandeln müssen. Denn obwohl gerade eine Patriotismuswelle über das ganze Land fegt und zum Kauf von Made-in-Kanada-Produkten auffordert, ist der Boden der Tatsachen ein anderer: Ein ernsthafter Zollkrieg würde Kanada in eine massive Wirtschaftskrise stürzen.

Die kann sich niemand leisten. Das kanadische Versprechen auf lebenslangen Wohlstand und ein bequemes Leben dank Ölvorkommen und wertvoller Ressourcen ist längst nicht mehr das, was es einmal war. Trudeaus Unbeliebtheit und der Aufwind der Konservativen lag an den hohen Lebenshaltungskosten, steigenden Mieten und der Unmöglichkeit, sich eine eigene Wohnung zu leisten. Spricht man mit den Menschen im Land, haben viele das Gefühl, ihre Lebensqualität habe sich in den vergangenen Jahren verschlechtert.

Wie in den USA sind viele auch hier der Opioid-Epidemie zum Opfer gefallen. Feindseligkeit gegenüber Migranten und die Abneigung, als Land etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, haben zugenommen. Kanadier sind stolz auf ihr Sozialsystem, auf ihre strengen Waffengesetze, ihren Umgang miteinander, der sich von der politischen Polarisierung ihrer amerikanischen Nachbarn unterscheidet.

Carney ist weder ein Visionär noch ein Zauberer. All diese Probleme wird er, wenn überhaupt, nicht so schnell lösen können. Aber sein etwas langweiliges, aus der Finanzwelt importiertes Auftreten hat Kanada vor einem selbsterklärten anti-woken konservativen Populisten gerettet. Das sind erstmal gute Nachrichten.

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2 Kommentare

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  • Koalitionen gibt es in Kanada so gut wie nie. Richtig ist, dass bereits im letzten Parlament die sozialdemokratische "New Democratic Party" eine Minderheitsregierung der Liberalen unter Justin Trudeau unterstützte. Das ist ihr allerdings jetzt ziemlich schlecht bekommen...

  • Congratulations, félicitations Canada!



    Trump war Carneys bester Wahlhelfer. Never/Jamais 51!