piwik no script img

Wahlen in JapanDer Kampf der Enkel

Japans Premierminister Taro Aso und sein Herausforderer Hatoyama tragen im Wahlkampf eine alte Familienfehde aus und gebärden sich wie Arbeiterführer.

Das sind nicht die echten Kandidaten – aber sie kämpfen trotzdem. Bild: reuters

TOKIO taz | Im Westen ist Japan berühmt für Teezeremonie und Zen-Gärten. Doch Japan ist nicht, wie man annehmen könnte, ein Land der Ruhe; sondern im Gegenteil eines der lautesten Länder der Welt. Zum einen, weil in Japan viele Millionen Menschen dicht zusammenleben, vor allem aber, weil sie aus Lautsprechern und Megafonen rund um die Uhr mit Durchsagen und Warnungen beschallt werden. Die Kakofonie erreicht im Wahlkampf für die Unterhauswahl am Sonntag einen lautstarken Höhepunkt.

Schon frühmorgens stehen die Kandidaten mit Megafonen in der Hand an den Bahnhöfen und dröhnen die müden Pendler im 30-Sekunden-Rhythmus mit ihrem Namen, der Parteizugehörigkeit und der Wahlaufforderung zu. Tagsüber patrouillieren ihre Lautsprecherwagen durch die Straßen und blasen in hoher Dezibelstärke die gleichen banalen Informationen durch die dünnen Fenster und Wände der japanischen Wohnungen.

Alle Beobachter rechnen mit einer historischen Niederlage der Liberaldemokratischen Partei (LDP), deren Regentschaft dann nach 54 Jahren Dauer beendet wäre. Und dennoch sind im Wahlkampf weder Dramatik noch Leidenschaft zu spüren. Auch nicht im Duell der Spitzenkandidaten, obwohl Premierminister Taro Aso von der LDP und sein Herausforderer Yukio Hatoyama von der Demokratischen Partei (DPJ) eine jahrzehntealte Familienfehde austragen.

Der Großvater von Hatoyama hatte nämlich 1955 den Großvater von Aso als Ministerpräsidenten gestürzt und das Amt selbst übernommen. Diesen Coup dürfte der Hatoyama-Enkel wiederholen. Trotzdem gehen die beiden älteren Herren - Aso ist 68 Jahre alt, Hatoyama 62 - sehr vorsichtig miteinander um.

Das könnte daran liegen, dass Hatoyama bei einem Sieg über Aso auch das Erbe seines Großvaters mit Füßen treten würde: Der war schließlich Mitte der Fünfzigerjahre Mitgründer jener LDP, die sein Enkel am Sonntag voraussichtlich entmachten wird. Zum anderen ähneln sich die beiden Politiker viel zu sehr, um sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Beide sind Christen und stammen aus politischen Clans, die schon seit Generationen in Parlament und Politik vertreten sind und die Geschicke Japans mitbestimmen.

Außerdem stammen beide aus sehr wohlhabenden Familien. Der Konzern der Familie Aso mit seinen über 60 Tochterfirmen macht mit Baustoffen, Immobilien und Medizin einen Jahresumsatz von umgerechnet einer Milliarde Euro. Aso residiert in einem fürstlichen Anwesen in bester Lage der japanischen Hauptstadt. Reichster Politiker des Landes ist aber Hatoyama.

Sein Großvater mütterlicherseits, Shojiro Ishibashi, gründete im Jahr 1931 den heute größten Reifenhersteller der Welt - Bridgestone, dessen Name eine wörtliche Übertragung von Ishibashi ins Englische ist.

Doch im Wahlkampf gebärden sich diese zwei Multimillionäre aus der herrschenden Schicht wie sozialistische Arbeiterführer. Aso wettert gegen den "Marktfundamentalismus" des charismatischen früheren Premierministers Junichiro Koizumi, der zwischen 2001 und 2006 das Land regiert hatte. Dabei hatte dessen Deregulierungspolitik den längsten Boom der Nachkriegszeit ausgelöst. Die LDP hatte nur versäumt, den Sozialstaat auszubauen, nachdem die Unternehmen die lebenslange Beschäftigungsgarantie für ihre Mitarbeiter aufgeben mussten.

Aber auch Hatoyama tut es ihm gleich und verspricht einen "liebevollen" und "warmherzigen" Kapitalismus. Dafür schüttet er ein Füllhorn von Geschenken über den Wählern aus: Die Familien sollen ein Kindergeld und kostenlose Schulen bekommen, die Bauern ein festes Einkommen, die Zeitarbeiter eine Festanstellung und die Autofahrer mautfreie Autobahnen.

Das ganze Vorhaben soll umgerechnet 126 Milliarden Euro kosten und mit Hilfe von versteckten Haushaltsreserven und Umschichtungen der Ausgaben finanziert werden. Aber Hatoyama trägt ja schon lange den Spitznamen "Außerirdischer", weil er von der politischen Realität oft weit entfernt ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!