: Wahlabend im Kronprinzenpalais
■ Trotz ARD und ZDF sitzen Sie in der letzten Reihe/ Beide Bürgermeister sehen im Brandenburger Wahlergebnis gute Ausgangspositionen für die Berliner Wahlen am 2. Dezember
Mitte. Kurz nach 18 Uhr, Unter den Linden, vor dem Kronprinzenpalais: Den alten Wohnsitz des späteren Großen Friedrich haben ARD und ZDF an diesem Wahlabend gemietet, um die Berichterstattung zu den Landtagswahlen auszustrahlen. Bekanntermaßen sitzt man bei ARD und ZDF in der ersten Reihe, deswegen waren die Kollegen von den Agenturen und der schreibenden Zunft hier unerwünscht. Begründung der Torhüter: keine, oder: »Hier kann ja jeder sagen, daß er von der Presse ist.«
Etwas ratlos stehen die so Abgewiesenen vor der Tür und warten auf die Berliner Spitzenpolitiker, deren baldige Ankunft angeblich kurz bevorsteht. Aus dem Palais tritt ein bebrillter Mann mit Pferdeschwanz und fragt einen der Kollegen: »Sind Sie Deutscher?« Der so Angesprochene nickt arglos und erhält dafür eine gewaltige Ladung Spucke ins Gesicht. Wahlen in Deutschland... Mit einem kleinen Trick gelingt es schließlich doch noch, die Zerberusse zu überlisten und in das Innere des Palais zu gelangen. Die eine Hälfte des Berliner Führungsduos, Oberbürgermeister Schwierzina, ist einigermaßen pünktlich eingetroffen. Seine bessere Hälfte jedoch, der Regierende von West-Berlin, sitzt angeblich zur Zeit seines Fernsehauftritts noch in aller Seelenruhe zu Hause.
Nach der ersten Hochrechnung für Brandenburg, die lange auf sich warten läßt, zeigen sich die Ostberliner Sozis einigermaßen erleichtert. Wenigstens in Brandenburg ist die SPD deutlich die stärkste Partei geworden, wenn es auch zu einer Allein-Regierung nicht reichen wird. Vor den Fernsehschirmen beginnen sofort die üblichen wahlbegleitenden Rechenspiele: Wer mit wem, mit wem reicht es, das Stichwort »Ampelkoalition« schwirrt durch den Raum. Denn nach der ersten Hochrechnung haben SPD und Bündnis 90 noch keine Mehrheit. Wenn eine große Koalition verhindert werden soll, dann muß die FDP mit einbezogen werden.
Tino Schwierzina, auf seine Wunschkoalition in Brandenburg befragt, meinte zur taz: »Ich wünsche mir keine große Koalition in Potsdam, obwohl ich selbst einer solchen vorstehe.« Das Brandenburger Ergebnis sei besonders erfreulich, und er freue sich auf eine gute Zusammenarbeit mit dem künftigen Ministerpräsidenten. Sein Parteifreund Wolfgang Thierse, ehemaliger Chef der DDR-SPD, war ebenfalls erleichtert, bedauerte Manfred Stolpe aber auch ein wenig. »Da wird er's schwer haben.«
Kurz vor halb acht trifft endlich auch Walter Momper im Kronprinzenpalais ein. Er ist sofort von Journalisten umlagert, sein Herausforderer am 2. Dezember, Eberhard Diepgen, drängelt sich mit in den Pulk hinein. »Ich freue mich über Stolpes Erfolg, und darüber, daß Michael Diestel eine klare Absage erhalten hat«, so der Regierende. Sein Kontrahent und er stimmen darin überein, daß das Brandenburger Wahlergebnis eine gute Ausgangsbasis für die Wahlen am 2. Dezember ist — wenn auch mit unterschiedlichem Interesse. Diepgen lobt das Abschneiden seiner Partei in den neuen Bundesländern, gesteht aber auch zu, daß mit Stolpe ein »bemerkenswerter« Kandidat das Rennen gemacht habe. Kordula Doerfler
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