: (Wahl–)Kampf der Regionen
Romeo und Julia ist wieder in: Sie kamen aus unterschiedlichen Provinzen Koreas nach Seoul, um in der gleichen Textilfabrik zu arbeiten, und wie das Leben so spielt - sie verliebten sich. Als nun die Eltern des Mädchens aus der ärmeren, aber stolzen Südwestprovinz erfuhren, daß deren Liebster von der Ostküste stammte, bestanden sie darauf, daß das Paar sich trennen sollte. Prompt nahm sich der abgewiesene Schwiegersohn in einem schäbigen Hotelzimmer das Leben. Diese (übrigens wahre) Geschichte wird derzeit in Südkorea erzählt, um ausländischen Beobachtern die Bedeutung regionaler Antipathien vor Augen zu führen. Denn obwohl Südkorea ein flächenmäßig relativ kleines und ethnisch homogenes Land ist, gelten regionale Eifersüchteleien bei dem Urnengang am 16. Dezember mit als wahlentscheidender Faktor. Allein der weitverbreitete Regionalismus erklärt zum Beispiel, daß Kim Dae Jung es wagt, gegen Kim Young Sam anzutreten. Ersterer stammt aus der vernachlässigten Südwestregion, letzterer ebenso wie Regierungskandidat Roh Tae–Woo aus dem boomenden Südosten. Kim Dae Jung hofft, daß er durch seine Kandidatur mehr Stimmen im Südosten gewinnt, als der Opposition insgesamt durch die Spaltung verlorengehen. Und auch die Südostwähler werden ihre Stimmen zwischen Kim Young Sam und Roh Tae– Woo aufteilen. Denn die Spannungen zwischen den Heimatprovinzen der beiden Kims überschatten persönliche Beziehunen ebenso wie das Leben am Arbeitsplatz und die Politik. Die Geister scheiden sich in Honam– (= südlich des Sees) und Yongnam– (= südlich des Berges) Abkömmlinge. Zu Honam gehören die wirtschaftlich unterentwickelten Cholla–Provinzen mit der Stadt Kwangju, in der 1980 ein Volksaufstand blutig niedergeschlagen wurde. Die dafür verantwortlichen Generäle sowie die Mehrheit der heutigen Regierungsclique kommen dagegen aus Yongnam, d.h. den beiden Kyongsan–Provinzen mit den Großstädten Pusan und Taegu. Die Vorurteile zwischen den beiden Regionen entstanden vor mehr als 1.000 Jahren, als Korea noch in drei Königreiche aufgeteilt war. Jeder Koreaner kennt die jahrhundertealten Stereotypen, denenzufolge die Leute aus Yongnam dumm und lahmarschig aber ehrlich sind, und die aus Honan scharfsinnig, aber hinterlistig. Unter der japanischen Kolonialherrschaft erhielten derlei Plattitüden dann einen realen Hintergrund, denn die Invasoren entwickelten nur die großen, Japan zugewandten Hafenstädte an der Ostküste, die inzwischen auch mit einer Eisenbahn mit den nördlichen Industriegebieten verbunden sind. Der Südwesten, ehemals die Reisschüssel der Nation, blieb außen vor. Aber erst unter den Militärregimen der letzten 26 Jahre artete die Rivalität in kaum mehr zu bändigende Aversion aus. Park Chun Hee, der Korea von seinem Putsch 1961 bis zu seiner Ermordung 1979 regierte und auch sein Nachfolger Chun Doo Hwan kamen aus Yongnam. Wiederum wurde dieser Landesteil bevorzugt, der agrarische Südwesten vernachlässigt. Heute leben im Südwesten weniger Menschen als in den 60er Jahren, während die Bevölkerung des Südostens von 7,5 Mio. auf heute 12 Millionen anwuchs. Mädchen aus Honan arbeiteten als Hausmädchen oder in den miesesten Fabrikjobs in Seoul, Jungen versuchen bei Bewerbungen, ihren Honan–Akzent zu verbergen, in der Armee werden sie angeblich mehr schikaniert. Derweil sind die Führungspositionen in Honan weitgehend mit Leuten aus dem Südosten besetzt. Bei dem jetzigen Wahlkampf versuchen alle Bewerber, sich als diejenigen hinzustellen, die den ruinösen Regionalismus überwinden können, während sie ihren Gegnern vorwerfen, die Gräben zu vertiefen. Gerade die beiden Kims sind in erster Linie regionale Kontrahenten, während sie bei der Politikformulierung meist übereinstimmen. Fast alle Oppositionsabgeordneten, die Kim Young Sams Kandidatur stützen, kommen aus Yongnam, diejenigen, die hinter Kim Dae Jung stehen, aus Honan. Fred Hiatt (wps)
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