Wahl in Kenia erfolgreich gefälscht: Präsident Kibaki zum Sieger erklärt
Inmitten heftiger Proteste und sich ausweitender Unruhen ist die Wiederwahl von Präsident Kibaki verkündet worden. Die Angst vor einer Hetzjagd gegen Kibakis Ethnie wächst.
NAIROBI taz "Die Regierung hat unsere Stimmen gestohlen, jetzt plündern wir alles, was wir kriegen können", schrie der gerade einmal elfjährige Kennedy Ochieng. Damit gab er die Stimmung in Kisumu im Westen des Landes, einer Hochburg des Oppositionsführers Raila Odinga, gut wieder. Die Polizei versuchte, die Plünderer mit Tränengas und Schüssen in die Luft zu verjagen, ohne Erfolg. In der Hauptstadt Nairobi traute sich am Sonntag kaum jemand aus dem Haus. In Kibera, Nairobis größtem Slum, brannten Hütten. Gangs aus Jugendlichen von Präsident Kibakis Ethnie der Kikuyu und von Oppositionsführer Odingas Volk der Luo standen sich mit Steinen und Macheten bewaffnet gegenüber, nur wenige Meter voneinander entfernt. "Wir lassen uns nicht gefallen, dass man uns die Wahl stiehlt", rief ein Steine schwingender Jugendlicher mit düsterem Blick.
Unterdessen wurde in Nyeri, der Heimatstadt des Präsidenten Kibaki, gefeiert. Am Donnerstag hatte Kenias Parlaments- und Präsidentschaftswahl als für Afrika vorbildlich begonnen - im Laufe des Wochenendes verwandelte sie sich zur Farce. Die bei der Wahlkommission vorliegenden Ergebnisse entsprachen so offensichtlich nicht der Realität, dass Wahlleiter Samuel Kivuitu sich bis zum Sonntagnachmittag trotz erheblichen Drucks standhaft weigerte, ein Endergebnis zu verkünden. Als er dann doch versuchte, Kibakis Sieg bekanntzugeben, war der Aufruhr der Opposition so groß, dass Militärpolizei den Wahlleiter aus dem Raum eskortieren musste. Das Endergebnis wurde später von einer Ansagerin des staatlichen Fernsehens verkündet: 4,58 Millionen Stimmen für Kibaki, 4,35 Millionen für den Oppositionskandidaten Odinga.
Auf den Straßen wuchs die Unruhe. In der Nacht zum Sonntag waren schon Hundertschaften der Polizei aufmarschiert, um ähnliche Ausschreitungen wie am Samstag zu verhindern. Da waren vor allem in Kisumu, größte Stadt im Westen Kenias und Odingas Heimat, Jugendliche durch die Straßen marschiert, hatten Geschäfte geplündert und brennende Straßensperren errichtet. Ähnliche Szenen spielten sich in anderen Hochburgen der Opposition im Westen Kenias und den Slums von Nairobi ab. Inoffiziell war von mindestens 15 Toten die Rede. Viele befürchten, dass nun aus den vereinzelten Ausschreitungen eine Hetzjagd vor allem gegen Kibakis Ethnie der Kikuyu werden könnte.
Nicht nur die Opposition, auch unabhängige Wahlbeobachter stellten die Ergebnisse der Auszählung am Sonntag in Frage. Vor dem Hintergrund von Vorwürfen, die Regierung habe den abgegebenen Stimmen nachträglich gefälschte Stimmzettel hinzugefügt, nannte der Chef der EU-Beobachtermission, Alexander Graf Lambsdorff, die Zahl der abgegebenen Stimmen vor allem in der kenianischen Zentralregion, Kibakis Hochburg, ungewöhnlich hoch. Auch in der westkenianischen Provinz Nyanza um Kisumu, Odingas Heimat, seien mehr Stimmen registriert worden als erwartet. Europäische Wahlbeobachter seien von Auszählungszentren fortgeschickt worden.
Deutlicher wurde am Sonntag Odinga, der seit Schließung der Wahllokale am Donnerstag in allen Statistiken weit vorn gelegen hatte - bis zum Samstagabend, als die Wahlkommission die Auszählung unterbrach. Am Sonntag trat der wortgewaltige Odinga vor die Presse und warf Kibakis Unterstützern Wahlfälschung vor. In manchen Wahlkreisen seien mehr Stimmen gezählt worden, als es Wahlberechtigte gebe. In anderen sei die Zahl der Stimmen für Kibaki verdoppelt worden. "Diese Fälschungen sind nicht in den Wahlkreisen geschehen, sondern später bei der Wahlkommission", sagte er. Deshalb seien die Ergebnisse so lange zurückgehalten worden. "Einige Leute in der Kommission haben gewartet, bis Ergebnisse aus allen Regionen vorlagen, und haben sie dann so aufgestockt, dass Kibaki eine Mehrheit erhält." 300.000 Stimmen seien dem Ergebnis hinzugefügt worden.
Einer der engsten Vertrauten Odingas, William Ruto, berichtete, bei der von Wahlleiter Kivuitu angeordneten Kontrolle der Ergebnisse habe sich herausgestellt, dass aus 48 der 210 Wahlkreise keinerlei Unterlagen vorhanden seien. "Das Einzige, was es gab, waren Computerausdrucke mit irgendwelchen Zahlen - das hätte jedes Ergebnis sein können." Er räumte Probleme ein und sagte, in einem Wahlkreis sei eine Beteiligung von 115 Prozent ermittelt worden, in einem anderen Wahlreis sei ein Kandidat mit einer Wahlurne weggelaufen. Er forderte eine Neuauszählung der Stimmen auf Grundlage der Berichte aus den Wahllokalen. Dort waren alle Stimmen öffentlich ausgezählt worden, danach wurden sie in Sammelzentren gebracht. Hier, so behaupten Kibakis Kritiker, habe die Fälschung im großen Stil begonnen.
Wahlleiter Samuel Kivuitu, der als integer gilt, wies die Vorwürfe am Sonntagabend nicht zurück. Er betonte aber, es obliege den Gerichten, die strittigen Fragen zu klären. "Die Wahlkommission ist überwiegend der Meinung, dass sie nicht befugt ist, die Vorwürfe selbst aufzuklären." Doch vom Kommissionspräsidenten abgesehen, der im Lauf des Sonntags selbst seinen Rücktritt erwogen haben soll, trauen Beobachtern der Kommission wenig zu. Mehr als die Hälfte der 21 Kommissare sind von Präsident Kibaki persönlich ernannt worden, viele erst vor wenigen Wochen. Dass sie mehr sind als willige Erfüllungsgehilfen, kann kaum ein Oppositionsanhänger glauben. Und dass jetzt alles beim Alten bleiben soll, können viele Kenianer schlicht nicht fassen.
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