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Waffenstillstand ohne politische Folgen

Die von der IRA erklärte Waffenruhe lief heute nacht um 0.00 Uhr aus / Die britische Regierung reagierte nicht / Wenige Stunden zuvor wurde eine Protestantin „aus Versehen“ ermordet  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Die Mörder hätten sie wahrscheinlich für eine Katholikin gehalten, gab die nordirische Polizei gestern bekannt. Margaret Wright, eine Epileptikerin, war am Donnerstag in einem Abrißhaus im „Village“, einem protestantischen Viertel Belfasts, tot aufgefunden worden. Es stellte sich heraus, daß die 31jährige bereits am Vortag in der nahegelegenen Tanzhalle einer protestantischen Marschkapelle vor den Augen von 60 Gästen zuerst zusammengeschlagen und dann durch einen Kopfschuß getötet worden war. Zahlreiche Gäste sollen an der Attacke auf die Frau beteiligt gewesen sein.

Der brutale Mord weckt Erinnerungen an die frühen siebziger Jahre. Damals wurde eine Reihe junger Katholikinnen von loyalistischen Kommandos – sie sind nach eigener Definition der britischen Krone treu ergeben, nicht unbedingt jedoch dem Parlament – gefoltert und ermordet. Ihre „Vergehen“ bestanden aus Affairen mit verheirateten Protestanten.

Die illegalen loyalistischen Organisationen haben Anfang der Woche angekündigt, daß sie die Gewaltkampagne forcieren werden. Anlaß war der von der IRA einseitig verkündete dreitägige Waffenstillstand gegenüber der britischen Regierung. In der Logik der Loyalisten beweist die Waffenruhe, daß die britische Regierung „Verrat begangen“ und der IRA gegenüber geheime Zugeständnisse gemacht haben müsse. Der Waffenstillstand ging heute Nacht um 0.00 Uhr zu Ende. Mit einer Verlängerung, so sagte Sinn-Féin- Präsident Gerry Adams vom politischen Flügel der IRA gestern, sei nicht zu rechnen. Dennoch äußerte er sich optimistisch, daß die vorübergehende Waffenruhe „bleibende Wirkung“ erzielt habe und die britische Regierung schließlich positiv darauf reagieren werde. Selbst wenn die IRA heute wieder zu den Waffen greifen sollte, müsse das nicht das Ende der Hoffnungen auf Frieden sein.

In einem Brief hatte Sinn Féin am Mittwoch den britischen Premierminister John Major aufgefordert, die im Herbst abgebrochenen direkten Kontakte wiederaufzunehmen und verschiedene, nicht näher bezeichnete Punkte der „Downing-Street-Erklärung“ zu erläutern. In dieser sehr mißverständlich formulierten Erklärung haben die Regierungen in London und Dublin im Dezember einen „Friedensplan“ für Nordirland vorgelegt. In einem Antwortbrief seines Privatsekretärs Roderic Lyne hat Major vorgestern die Sinn-Féin-Forderung zurückgewiesen. Erst wenn die IRA die Waffen endgültig niederlege, könnten Gespräche mit Sinn Féin stattfinden, heißt es in dem Schreiben. Vorerst bleibt in Nordirland also alles beim alten.

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