Wärmewende als Entscheidungsschlacht? : Kein Kulturkampf!
Wenn eine kleine Veränderung wie die Umstellung auf postfossile Heizgeräte schon zur letzten Entscheidungsschlacht hochgejazzt wird: Wie soll man da Ernst machen mit den großen Sachen?
Von PETER UNFRIED
Unser taz-Magazin taz FUTURZWEI widmet alle Ausgaben des Jahres der sozialökologischen Wende unter dem Motto „Wir machen Ernst“. Die aktuelle Ausgabe „It's the Economy, Ökos!“ beschäftigt sich mit der Frage, wie Wirtschaft künftig ökologisch und ökonomisch funktionieren kann. In dieser Kolumne geht es darum, ob und wie diejenigen, die Ernst machen wollen, Zukunftspolitik voranbringen – in der aktuellen Heizungs-Hysterie ist das bisher überhaupt nicht gelungen.
taz FUTURZWEI, 05.06.2023 | Man muss wirklich sagen, dass die Union und die FDP in ihrer Kommunikation zum Heizungsgesetz einen sehr guten Job gemacht haben. Erst haben sie Teile der Gesellschaft total verunsichert und verängstigt und dann haben sie beklagt, dass der Bundeswirtschafts- und Klimaminister die Leute total verunsichere und verängstige. Die bewährten rhetorischen Tricks wurden zielsicher eingesetzt: Bestandschutz für bestehende Heizungen kaum erwähnt, die Dimension völlig übertreiben, mit aufgeblasenen Kosten Abstiegsängste schüren, mit dem Killerwort „Verbot“ die neue Rechtslage zuspitzen undsoweiter.
Sehr, sehr gute Oppositionsarbeit. Wenn man mal davon absieht, dass die FDP nominell der Regierung angehört, die sie angreift.
Ja, man hätte smarter kommunizieren können
Selbst anspruchsvolle Medien reden ernsthaft davon, die Leute seien ja komplett verunsichert durch das Wirtschaftsministerium, die soziale Dimension sei mal wieder komplett vergessen worden, typisch, Grüne, und Gesetze beziehungsweise bereits deren Vorlagen werden mit Kennerexpertisen-Rhetorik schnell mal als „handwerklich miserabel“ gelabelt, womit man den Sprech der FDP übernimmt. Dazu kommen noch die routiniert heruntergeleierten „Ideologie“-, „Verbotsfetischismus“- und „Staatswirtschafts“-Gesänge.
Es ist ja durchaus richtig, dass nicht alles gut gelaufen ist, sicher kann man smarter kommunizieren und soziale Härten besser abpuffern, was ja nun auch versucht wird. Aber die größere Frage lautet doch: Wenn eine technische Detailsache und im Vergleich eher kleine Veränderung wie die Umstellung von fossilen auf möglichst postfossile Heizgeräte bereits zur letzten Entscheidungsschlacht hochgejazzt wird: Wie soll man da in den nächsten Monaten und Jahren Ernst machen mit den großen Projekten? Die Antwort ist: Gar nicht. Jedenfalls, wenn es nach denen geht, die ernsthafte Wirtschafts- und Klimapolitik verhindern wollen.
Der Green Deal ist Konsens
Wie schlimm steht es? Zunächst mal könnte es helfen, den europäischen Rahmen dieser traditionell sehr national geführten Debatte zu sehen: In der EU haben Konservative und Liberale wie auch Sozialdemokraten den Green Deal abgesegnet. Jedenfalls da, wo es um technologische Entwicklung geht (bei Landwirtschaft und Biodiversität sieht es anders aus). „Fit für 55“ steht für den Anspruch der EU, die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu senken. Instrumente sind eine Reihe von Gesetzen, wie die Reform des EU-Emissionshandels (ETS), ein Klimasozialfonds über mehr als 80 Milliarden Euro, separate Emissionshandelssystem für Verkehr und Gebäude und mehr.
Grundlage sind relativ stabile progressive Mehrheiten von Parteien, die nicht progressiv im traditionellen Sinne sind – und nur so wird Zukunft gemacht werden können. Dieser Green Deal wird von Deutschland getragen, doch im Land eher wenig wahrgenommen, weshalb aus dem Blickfeld gerät, dass das Ende von Öl- und Gasheizungen mit Blick auf die Verpflichtungen innerhalb der EU und das deutsche Klimagesetz weitgehend Konsens ist.
Es geht letztlich nur um die Frage, wann innerhalb der nächsten zwei Jahre es kommt.
Zweitens ist es hilfreich, sich immer wieder klarzumachen, dass es in Deutschland einigen Beteiligten weniger um die Sache geht, als darum, wer politisches Kapital daraus schlagen kann, dass der Vizekanzler sich an die Koalitionsvereinbarung halten will. Das ist mitnichten verwerflich, sondern das, was man von einem Minister erwarten dürfen muss. Wenn das als Skandal hingestellt werden kann, dann wären diejenigen, die das als Selbstverständlichkeit oder Tugend betrachten entweder auch scheinheilig oder einfach zu schwach. Die Liste der potentiellen Profiteure einer Desavouierung der Wirtschafts- und Klimapolitik reicht von der FDP, die ihren Arsch retten will, über die Union, die zurück in die Regierung will, den SPD-Kanzler, der seinen schärfsten Rivalen sicher nicht als strahlenden Helden der Zukunftspolitik sehen möchte, bis zur Außenministerin: Je schwächer Habeck und damit die Grünen in der Gesellschaft dastehen, desto stärker wird die hochgeschätzte Parteifunktionärin Annalena Baerbock. Und umgekehrt.
Der Kulturkampf – das ist das Gefährliche an der Situation – gilt offenbar unterschiedlichen Akteuren das naheliegende politisch-populistische Mittel. Die Idiotie besteht darin, dass er mit Fridays for Future überwunden schien. Junge, Ältere, Linke, Konservative sagten parteiübergreifend ja zum Ernstmachen. Was wir nun haben ist eine Simulation von Kulturkampf, häufig geradezu parodistisch, wie etwa bei Markus Söder. Aber damit arbeitet derzeit der Hyperliberalismus, der Anti-Kapitalismus, der Postkolonialismus und auch der Konservatismus.
Kulturkampf-Simulation bevorteilt die Populisten und macht es denen schwierig, die differenziert sprechen. Das gilt besonders auch für uns Medien. Springers „Heizhammer“-Kampagne haut einfach anders rein als sachliche „so ist das tatsächlich“-Berichterstattung.
Transformation Teil unserer Kultur werden lassen
Das konservative Problem ist, dass die Union mit ihrem Ersetzen von Klimapolitik durch Kulturkampf in die Regierung zurück will. Aber wenn sie wieder in der Regierung sein sollte, dann muss auch sie jene Transformationspolitik machen, die sie nun so kritisiert und die sie all die Jahre zuvor vermieden hat, als es noch unter geringeren Kosten für alle möglich gewesen wäre. Steigende Kosten entstehen eben nicht (nur) durch Umstieg, sondern vor allem durch Verhinderung des rechtzeitigen Umstiegs durch Union und SPD in den letzten beiden Jahrzehnten.
Durch die Inszenierung eines Kulturkampfes bereitet die Union aber ihre Leute nicht auf das – als EU-Mitglied – Unvermeidliche vor, sondern tut so, als seien Konservative in einem gerechten Kampf gegen grüne Ideologen, die sie zum Fressen von Heuschrecken und dem Gebrauch seltsamen Sprechens zwingen wollten. Das ist der große Nachteil einer kurzfristig rentablen Mumpitz-Erzählung, aber im Regierungsfall greift trotzdem hoffentlich die gute, alte CDU-Tugend: Was interessiert uns unser Geschwätz von gestern? Die Alternative wäre, in den Widerstand gegen Ursula von der Leyen und die Europäische Union zu gehen. Das wäre das Ende der CDU, wie wir sie kannten. Und das sollte wirklich keiner wollen.
Fassen wir zusammen: Das Aus für Verbrenner-Autos, das Aus für Öl- und Gasheizungen kommt. Es verzögert sich nur nochmal um einige Zeit, wenn die Kräfte der Verzögerung die Oberhand behalten. Der Schritt in eine gute Zukunft wird damit schwerer und teurer. Was den Leuten mit Geld schnurz sein kann, aber denen mit wenig Geld nicht, weil sie die steigenden Kosten für die fossilen Brennstoffe von Autos und Heizungen nicht bezahlen werden können, und dann muss der Staat den Unsinn, den die verkorkste Debatte verursacht, auch noch subventionieren, womit wieder woanders Geld fehlt. Je später gehandelt wird, desto gearschter ist der „kleine Mann“ (Sozialparteisprech), für den angeblich jetzt gebremst wird. Die zu klärende große Frage ist aber schon, wie das Soziale in der Sozialökologie richtig funktionieren wird, wie CO2 so bepreist werden kann, dass wirklich die zahlen, die viel emittieren und die Leute entlastet werden, die – weil sie weniger Geld haben – auch weniger emittieren.
Die Frage dieser Tage für all jene, die gegen die Blockadeversuche ernsthafte Wirtschafts- und Klimapolitik voranbringen wollen, lautet aber erst einmal: Wie halten wir dagegen, wie bringt man die (komplette) Bundesregierung dazu, sich nun nicht von der ersten Aufregung voll bremsen zu lassen, sondern im Voranschreiten der Transformationspolitik Akzeptanz und Mehrheiten auszubauen für europäische und nationale Zukunftspolitik? Klar ist eines: Es reicht nicht mehr, das Falsche allerstrengstens zu verurteilen oder auch das Unzureichende oder rumzuheulen, dass „wir keine Zeit mehr haben“ oder die anderen schlimm sind.
Den Kulturkampf auf keinen Fall annehmen! Wenn er wirklich ausbricht oder gar auf die europäische Ebene überspringt, gibt es nur noch Verlierer. Und zwar je einkommensschwächer, desto heftiger. Es geht jetzt vielmehr darum, Wirtschafts- und Klimapolitik in unsere gedachte und gelebte Kultur aufzunehmen. Warum schreiben 100 Intellektuelle und Prominente und 10 Millionen Bürger nicht einen offenen Brief, in dem sie für das Heizungsgesetz werben? Klingt total seltsam, ich weiß, aber hey. Es geht jetzt darum, Flagge zu zeigen, aber in der Absicht, das Wichtige zu identifizieren und möglichst viel davon mehrheitsfähig zu machen und auf den Weg zu bringen.
Peter Unfried ist Chefredakteur von taz FUTURZWEI.
Mitarbeit: Martin Unfried