piwik no script img

Wäre Martin Winterkorn der bessere Kanzler?Die echten Versager sitzen in den Vorständen

Wir retten die WeltVonBernhard Pötter

Donnerstag vor einer Woche, Raum 3101 im Bundestag, 10 Uhr morgens. Am Tisch des VW-Untersuchungsausschusses nimmt Martin Winterkorn Platz. Flankiert von zwei Anwälten, sagt der ehemalige Vorstandschef des größten deutschen Unternehmens über zwei Stunden lang viel, aber eigentlich doch nichts: Der Skandal um den Dieselbetrug sei für ihn „bedrückend“. Aber er sei „zu spät informiert worden“. Man „fragt zu Recht, wie konnte das passieren?“, sagt der großspurige Boss ganz kleinlaut. Aber eine Antwort hat er auch nicht.

Einen Tag später wird in Washington Donald Trump als US-Präsident vereidigt. Ein Mann, den auch ein Versprechen ins Amt gespült hat: „Der Vorstandschef von Amerika zu sein.“ Also das Land so zu regieren, wie er sein Unternehmen geführt hat. (Zur Erinnerung: Trump hat gleich sechsmal Konkurs angemeldet.) Egal, die Erzählung lautet: Wenn man nur die Unternehmer mal ans Steuer ließe, dann würde alles ganz schnell besser.

Wie kann man nur auf so eine Idee kommen?

Mal abgesehen davon, dass ein Staat andere Ziele hat als ein profitorientiertes Unternehmen; dass in dem einen die Mehrheit der Menschen und im anderen die Mehrheit des Kapitals das Sagen hat; dass die Menschenrechte nicht immer ganz vorn auf der To-do-Liste der Firmenlenker stehen; dass man StaatsbürgerInnen nicht nach Belieben heuern und feuern kann. Von all dem mal ganz abgesehen: Wäre Martin Winterkorn der bessere Kanzler?

Einer der wenigen echten deutschen Global Players, Herr über eine weltweite Industrie made in Germany – der im entscheidenden Moment versagt? Der als Technikfreak angeblich jede Schraube überprüft, aber von einer Schummelsoftware in Millionen von Autos nichts mitbekommen haben will?

Man kann sich zu Recht über Inkompetenz und Dummheit mancher Politikerinnen und Politiker aufregen. Aber die echten Versager sitzen in den Vorstandsetagen, die sich immer gern über „die Politik“ aufregen: Da ist Winterkorn nur das letzte Beispiel.

Wer erinnert sich noch an Thomas Middelhoff, der Karstadt gegen die Wand fuhr und wegen Untreue verknackt wurde? An Klaus Zumwinkel, der als Chef des Staatsunternehmens Post die Steuern, die an ebendiesen Staat gehen sollten, hinterzog und vor Gericht landete? An Heinrich von Pierer, Vorzeigechef des Vorzeigeunternehmens Siemens, das 1,3 Mil­liar­den Euro Schmiergelder verteilte? Oder an die Bosse der Energieriesen RWE und Eon, die lieber Ruf, Aktienkurs und Existenz ihrer Konzerne ruinierten, als bei der Energiewende mitzumachen? Und ach, die Banker, die Banker, die Banker! Anders als unfähige Politiker wurden sie nach der Finanzkrise nicht mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt, sondern mit Millionenabfindungen zum lebenslangen Golfspielen verurteilt – und die Trümmer ihrer Machenschaften mit Steuermilliarden zusammengekehrt. Würde sich das eine Bundesregierung leisten, gäbe es vielleicht in diesem unseren Land mal eine nicht ganz so friedliche Revolution.

Der Irrsinn, dass Manager die besseren Volksvertreter seien, hat nicht mit dem Horrorclown Trump begonnen. Der neoliberale Wahn hat uns über Jahrzehnte wider alle Erfahrung vorgegaukelt, Private könnten es immer besser als Öffentliche. Dass das Gegenteil richtig war, bei der Stadtreinigung, der Finanzierung von Autobahnen oder der Krankenversorgung – ganz egal. Es klang gut und die Politik hat mitgespielt.

Ganz klar: Politik muss sich nach anderen Spielregeln richten als der Kapitalismus. Obwohl – in letzter Zeit habe ich ab und zu diesen seltsamen Traum: Wenn das Maß der Lügen voll und die öffentlichen Kassen leer sind, wenn Millionen von Kranken in der Armut landen und die Umwelt zum Teufel geht, dann kommt der Aufsichtsrat, noch ehe die vier Jahre um sind, und sagt zum Vorstandsvorsitzenden der USA die magischen Worte: „You’re fired!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen