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Wählt Kroatien den Nationalismus?

Sechs Millionen dürfen wählen / Im Gegensatz zu Slowenien haben die Vertreter der Eigenstaatlichkeit die besten Chancen  ■  Aus Zagreb Roland Hofwiler

Nach den ersten freien Wahlen in Slowenien wird nun in Kroatien, der mit sechs Millionen Menschen zweitgrößten Republik Jugoslawiens, ein freies Republikparlament bestimmt. Als einer der Spitzenkandidaten der „Koalition der nationalen Verständigung“ warnt der bisher als Faschist beschimpfte Male Mestrovic, Sohn eines berühmten Bildhauers, weder in Rache gegenüber den Altkommunisten noch in eine „nationalistische Euphorie“ zu verfallen. Der jahrzehntelang verfemte „Staatsfeind“ gilt nun als Kandidat der linken Mitte. Zusammen mit den reformkommunistischen Führern des „Frühlings“ von 1970 gehört er mit den christlich -demokratischen und sozialdemokratischen Parteien der „Koalition“ an.

Anders als im kleinen Slowenien gilt in Kroatien nicht die „Koalition“ als Favorit, sondern die nationalistische „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“ unter dem charismatischen Politiker Franjo Tudjman. Tudjman, einst überzeugter Kommunist und Partisanengeneral, vertritt nicht eine Konföderation der einzelnen Republiken, sondern sieht das kroatische Volk und seine Eigenstaatlichkeit im Vordergrund. Als Gegenpol zu Tudjman gilt noch immer die KP, die sich in Kroatien neuerdings mit dem Beinamen „Partei der demokratischen Änderung“ schmückt. Doch ihre Führer sind keine Gysis oder Nemeths. Nicht aus Anerkennung, sondern aus Protest gegen die „nationale Euphorie“ könnte die KP eine beachtliche Zahl der Stimmen, um die zwanzig Prozent, gewinnen, wobei allerdings die Grünen und die offen antisemitische „Neue Partei“ einen Unsicherheitsfaktor bilden.

Die Wahlen in Kroatien und die Reaktion darauf in den anderen Republiken könnten die politische Landkarte des Balkanstaates bedeutend verändern, meinen die einen. Andere, wie zum Beispiel Dragomir Olujic vom „Sozialdemokratischen Bund Jugoslawiens“, erwarten, daß erst die Wahlen zu einem gesamtjugoslawischen Parlament das Land möglicherweise zum Zerfall führen werden.

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