Wählen ohne Personalausweis: "Ein Betrug würde nicht auffallen"
Stell Dir vor es ist Wahl und jemand anders macht für Dich das Kreuzchen. Möglich ist das. Denn in vielen Wahllokalen interessiert man sich nicht mehr für den Personalausweis.
BERLIN taz | Verena Schmidt* staunte am vergangenen Wahlsonntag nicht schlecht. Als sie in Leipzig zur Urne schritt, gab sich der Wahlhelfer mit ihrer Wahlbenachrichtigung zufrieden. Ein Personalausweis sei gar nicht nötig, um den Wähler zu identifizieren.
Das findet Schmidt jedoch bedenklich: „Meine Mitbewohnerin ist derzeit im Urlaub und hat nicht gewählt, ihre Wahlbenachrichtigung liegt bei uns in der Küche. Ich hätte mit ihrer Karte wählen können und es besteht die Chance, dass das niemand mitbekommt.“
Zumindest theoretisch sei so Missbrauch möglich. Schließlich wechsle in den Wahllokalen um 13 Uhr die Schicht. Hätte Verena Schmidt also vormittags für sich selbst und nachmittags für ihre Mitbewohnerin gewählt, wem hätte das auffallen sollen?
Dass kein Personalausweis verlangt wird, entspricht aber dem Landeswahlrecht, sagt eine Mitarbeiterin der sächsischen Landeswahlleiterin. „Die Wahlbenachrichtigung ist eine Identifikation des Wählers für den Wahlvorstand. Lediglich wenn der Wahlvorstand denkt, dass es sich nicht um den eigentlichen Wähler handelt oder er ihm persönlich nicht bekannt ist, muss er nach dem Personalausweis fragen.“ Im Bundeswahlrecht gibt es die gleiche Regelung.
Möglicherweise fiele da ein Betrug beim Wählen nicht auf, sagt die Mitarbeiterin der Landeswahlleiterin. „Der Wähler hat aber eine eigene Verantwortung, nicht gegen das Verbot zu verstoßen, zwei Mal zu wählen.“ Wer sich nämlich der Wahlbenachrichtigung seines wahlmüden Nachbarn bemächtigt und damit abstimmt, macht sich laut § 107a StGB strafbar. Jeder Wähler darf nur ein Mal wählen und das persönlich, steht dort geschrieben.
Aber wie genau soll man solchen Missbrauch verhindern, wenn die Identität des Wählers nicht kontrolliert wird? „Es gibt immer wieder Wahlprüfungsbeschwerden, die aufgrund der Regelung mit den Wahlbenachrichtigungen die Wahlen anfechten wollen“, heißt es aus dem Büro der sächsischen Landeswahlleiterin. So beschwerte sich etwa ein Bürger bei der Bundestagswahl 2005 beim Bundestag: Die Wahl sei in dieser Form nicht zulässig, da die Identität der Wähler in seinem Wahllokal in Leipzig nicht festgestellt worden sei. Die Wahlprüfungsbeschwerde wurde abgelehnt.
Der Bürger begründete seine Beschwerde jedoch damit, dass ihm gar eine Wahlbenachrichtigung zum Kauf angeboten worden sei.
Die Begründung für die Ablehnung: Auch soweit der Einspruchsführer behauptet, ihm sei ein Wahlschein bzw. eine Wahlbenachrichtigungskarte zum Kauf angeboten worden, kann seinem Vortrag nicht die Darlegung eines Wahlfehlers entnommen werden, da die Angaben zu vage und einer näheren Überprüfung nicht zugänglich sind. Zudem sei im Bundeswahlgesetz nur vorgeschrieben, dass sich der Wähler auf Verlangen oder bei Fehlen der Wahlbenachrichtigung ausweisen müsse.
Sachsen ist aber keineswegs das einzige Bundesland, in dem die Wahllokale auf Vertrauen setzen. Auch bei der diesjährigen Kommunalwahl in NRW – genau wie bei der Europawahl – wurde nicht nach dem Ausweis der Wähler gefragt. "Alles nach Gesetz", sagt die Sprecherin des NRW-Innenministeriums, Carola Holzberg. „Ausschließen kann man Missbrauch grundsätzlich nie. Aber es liegen ja im Wahllokal die Wahlverzeichnisse vor.“
Und wenn jemand, gleichen Geschlechts und gleichen Alters, für jemand anderen wählt? „Man müsste den Einzelfall kennen. Generell halte ich das für sehr unwahrscheinlich. Aber wenn es soweit käme müsste man entscheiden, ob eine Manipulation das Ergebnis der Wahl wirklich beeinflusst“, sagt Holzberg. Erst wenn das Ergebnis erwiesenermaßen beeinflusst wäre, könne man die Wahl auch anfechten.
Ob die Wahl anfechtbar ist – diese Frage stellen sich auch Wähler schon seit Jahren in diversen Internetforen. Unter Wahlrecht.de findet sich sogar die Geschichte eines Wählers, der zum Test verneinte, der Wahlberechtigte selbst zu sein. Obwohl er angab jemand anders zu sein, ließ man ihn sein Kreuzchen setzen.
Michael Efler vom Verein „Pro Demokratie“ hält diese Wahl-Praxis für problematisch. „Die Personalausweise müssten überall kontrolliert werden. Das müsste auch gesetzlich vorgeschrieben sein. Es geht doch nicht an, dass ich einfach mit einer anderen Wahlbenachrichtigung doppelt wählen gehen könnte.“
* Name geändert
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