Wählen ab 16: Reif für die Urne
Der schwarz-rote Senat beschließt einen Gesetzentwurf, damit schon 16-Jährige das Abgeordnetenhaus wählen dürfen. Grüne und Linke wollen zustimmen.
![Die Karikatur zeigt zwei ältere Menschen, die sich angesichts von Protesten jüngerer Menschen damit trösten, dass diese jungen Demonstranten ja noch nicht wählen dürften. Die Karikatur zeigt zwei ältere Menschen, die sich angesichts von Protesten jüngerer Menschen damit trösten, dass diese jungen Demonstranten ja noch nicht wählen dürften.](https://taz.de/picture/6516915/14/33587781-1.jpeg)
Latifah, 17
Die Änderung würde dafür sorgen, dass zu den bislang rund 2,5 Millionen Berliner Wahlberechtigten weitere 50.000 kämen, also rund zwei Prozent mehr Menschen wählen und abstimmen dürften. 16- und 17-Jährigen das Wahlrecht auf Landesebene zu geben, war schon vor fast eineinhalb Jahren verabredet – allerdings nicht mit der CDU: Die damals noch im Abgeordnetenhaus vertretene FDP wollte der damaligen rot-grün-roten Koalition zur Zweidrittelmehrheit verhelfen. Nachdem das Landesverfassungsgericht jedoch 2022 eine Wahlwiederholung beschloss, rückte die Absenkung in den Hintergrund.
Sie in diesem Frühjahr wiederzubeleben, gehörte zu den überraschenden Erfolgen der SPD gleich zu Beginn der Koalitionsverhandlungen mit der CDU. Denn die hatte sich zuvor nicht damit anfreunden können. Als sich etwa der damalige Parlamentspräsident Ralf Wieland (SPD) 2018 dafür stark machte, es anderen Bundesländern gleich zu tun, lehnte die CDU ab: Zum einen sei es nicht nachvollziehbar, mit 16 noch nicht sämtliche Verträge abschließen, aber wählen zu dürfen, zum anderen zweifele man an der nötigen Reife für eine Wahlentscheidung.
Len, 16
Das war auch für Wieland lange ein Argument, doch sah er nun eine größere Reife. Umgestimmt hatte ihn eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung. In der Berliner SPD stimmten noch 2015 bei einer Mitgliederbefragung nur 29,2 Prozent für ein niedrigeres Wahlalter, aber 60,4 Prozent dagegen.
Eine, die auch bei jener SPD-Befragung schon für eine Absenkung gewesen sein will, ist die sozialdemokratische Innensenatorin Iris Spranger: „Ich war immer pro“, sagte sie der taz am Dienstag. Sie stellte den Gesetzentwurf nach der Senatssitzung vor und lobte ihn als „eine wichtige neue Regelung für mehr Partizipation“. Zweifel an der nötigen Reife der 16- und 17-Jährigen halte man im Senat für unbegründet. Für Spranger stärkt die Absenkung vielmehr Interesse und Reife in Sachen Politik.
Emily, 17
Kommt es zur Verfassungsänderung, ist Berlin damit zwölf Jahre später dran als Brandenburg. Dort wurde die Absenkung 2011 beschlossen, 2014 durften 16-Jährige erstmals den Landtag mitwählen. In fünf weiteren Ländern – Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern – ist das ebenfalls schon so. In Nordrhein-Westfalen steht eine Absenkung zumindest im Koalitionsvertrag des seit 2022 regierenden schwarz-grünen Bündnisses.
In Berlin dürfen 16-Jährige bisher schon die Bezirksverordnetenversammlungen mitwählen. Der Bundestag hat zudem bereits Ende 2022 das Wahlalter für das Europaparlament, das 2024 gewählt wird, auf 16 gesenkt. Damit wird der Bundestag künftig zur einzigen der vier parlamentarischen Ebenen vom Kommunal- bis zum Europaparlament, bei der Unter-18-Jährige nicht wählen dürfen.
Die von Innensenatorin Spranger am Dienstag vorgetragene Begeisterung über den Gesetzentwurf war bei der CDU-Fraktion als Koalitionspartner weit weniger spürbar. Tatsächlich hat sich aus ihrer Sicht an den von ihr jahrelang vorgetragenen Argumenten – rechtlich uneinheitlich und von der Reife her fraglich – nichts geändert. Für die CDU gilt allerdings, was sie in anderen Fällen auch von der SPD erwartet: pacta sunt servanda – was im Koalitionsvertrag steht, ist einzuhalten. Um den Schwenk zumindest ein stückweit zu verbrämen, hat die CDU-Fraktion deshalb mehrere ergänzende Anträge formuliert, die intern als „Begleitprogramm“ laufen: Sie drängen auf zusätzliche politische Bildung für die künftigen Wählerschaft.
Jenny, 17
Darauf am Dienstag angesprochen, verwies Innensenatorin Spranger auf CDU-Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch: Die habe ihr bestätigt, dass die entsprechenden politischen Bildungsinhalte bereits Bestandteil mehrerer Schulfächer seien. Sprangers Fazit daraus: „Ich sehe keine weitere Notwendigkeit, da noch etwas zu machen.“
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