■ Urdrüs wahre Kolummne: „Wachsamer Nachbar!“
Puckernder und tuckernder Ohrenschmerz hielt mich in der vergangenen Woche davon ab, den Freitagsruf des Muezzin von diesem Minarett erschallen zu lassen. Verantwortlich machen will ich dafür keineswegs den Ausländeramtsleiter Dieter, obwohl ich ihn sonst zu einigem für fähig halte. Wenn dieser Trappmann jetzt die hinterhältige Festnahme eines Flüchtlings mit Bremer Kirchenasyl vor der hiesigen Außenstelle des Bundesamtes in aller Nüchternheit mit den undramatischen Wörtern kommentiert: „Der Festgenommene war ausreisepflichtig“, macht mir das jeden „Kanaken raus“-Skinschädel sympathischer, der in solchen Fällen wenigstens Besoffenheit und Wirrsinn entlastend auf seiner Seite hat.
Der berühmte Arbeiterführer aus dem sozialdemokratischen Urgestein, der mutmaßliche ADAC-Beitragszahler und Ehrensoldempfänger von eigenen Gnaden, der Weltenbummler und ursprünglich als Konsum-Filialleiter konzipierte Bremerhavener Richard Skribelka kassiert also Monat für Monat das mehr als 20-fache der Sozialhilfe für den Lebensunterhalt, ohne daß er zu gemeinnütziger Tätigkeit beim Abgrasen der Aussendeiche oder als Komparse für das „Land des Lächelns“ im Stadttheater verpflichtet wird: Kann das richtig sein? Und zieht am Ende das Hafenressort nach Fishtown, weil Richard was über Uwe weiß, was du und ich nicht wissen sollen aber doch sowieso nicht wissen wollen, weil wir diese Hein Mücks in allen Lebenslagen sowieso besser kennen als sie sich selbst? Man wird ja mal fragen dürfen in einer Zeit, da die Bullizei eine Aktion Nachbarschafts-hilfe mit dem Slogan betreibt: „Vorsicht! Wachsamer Nachbar!“
Ein heftiger Regen zwingt mich dieser Tage mitten in der Stadt unter die Markise eines Textilgeschäftes, worunter auch zwei ältere Damen Schutz suchen, denen die Kraft der zwei Herzen ins Gesicht geschrieben steht. Und sagt die eine zur anderen ohne weiteren rhetorischen Vorspann „Ich koche heute Kohlrouladen“, worauf die andere fragt „Mit Speckstippe?“ Wiederholt diese Nachfrage noch zwei-, dreimal, doch die mit der Kohlroulade schweigt. Und schweigt. Ein Schweigen, das drückt und immer unangenehmer wird und schließlich die Fragestellerin trotz anhaltenden Regens veranlaßt, das Weite zu suchen. Wendet sich die Verbliebene nunmehr an mich: „Ich hatte die Alte vorhin mit einer anderen Frau verwechselt. Deswegen lass ich mir doch kein Gespräch aufzwingen!“ So sind die Leute in diesem Land, das man mit Fug und Recht nur ungern als das unsere bezeichnet...
Im niedersächsischen Kommunalwahlkampf werben derzeit CDU und SPD mit dem gleichen „Giveaway“: einem Schlüsselanhänger mit jener kleinen Plastikmünze zum Lösen der Einkaufswagen, für die einst der liberale Bundesminister und Fallschirmspringer persönlich und per Dienstpost geworben hatte. Triumph des Möllemänner-Prinzips: nach allen Seiten Taschen offen.
Den Absatz für frische Nordseekrabben wollen indessen die Fremdenverkehrswerber zu Beginn der Fangsaison jetzt ankurbeln mit der Empfehlung „Ja, sogar mit Vanille-Eis schmecken Krabben vorzüglich!“ Berichte von heroischen Selbstversuchen erwünscht.
Ganz persönlich hefte ich mir den Erfolg an die schwarzrote Fahne, zum Absatzrückgang bei der Bürgerpark-Tombola beigetragen zu haben: Steter Gifttropfen hölt den Stein und sprengt den Fels des Unbewußten. Und wenn der Professor für Was auch Immer Jörg Henning von der Uni Bremen jetzt den Machern der obskuren Cornflakes- und Autotütüt-Verlosung die Wiederaufnahme des verstärkten Lärmterrors für die kommende Bretterbuden-Saison empfiehlt, weil darüber sowieso nur „vor allem junge Männer“ meckern, dann werden mein Kampfgenosse Boy Cott und ich auch im nächsten Jahr zeigen, wie jung wir sind im Vergleich zu den Altenteilern der Initiative „Anschaffen für die Bürgerpark-Verwaltung“ (AFB). Versprochen!
Stolz propagiert der evangelische Pressedienst, daß seit der CEBIT HOME auch die Kirche „im Cyberspace angekommen ist“. Und präsentiert sich der Verein auf der Höhe der Zeit bei der Andacht mit Internet-Pfarrerin auf dem hannoverschen Messegelände durch die sanft schweinigelnde Aufforderung „Greifen sie uns doch mal in den Klingelbeutel“. Darin liegt dann eine Diskette: Kirche online! Und ich sage Euch, es wird einer kommen zu Euch in den virtuellen Tempel, euch den Datenhandschuh von den Dürerschen Gebetshänden reißen, den Stecker herausziehen und euch mousepad-schleudernd hinaustreiben. Frau Gott läßt ihrer nicht spotten mit CD-Rom und Treiber.
Amen.
Ulrich Jeremia Reineking
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