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WOHNEN IM SCHLACHTHOF

■ „Die falschen Fuffziger - Zwischen Muff und Moderne“ in Steglitz

Seit Anfang der 80er sind die 50er wieder dabei, sei es als ironisch verwursteter Modetrend, als konservative Durchsetzungsstrategie oder als (kritische - und ob) Besinnung auf die (unsere) Anfangsjahre. Ausstellungen, Bücher, Bildbände, Filme, Mode, musikalische Remakes und nochmal von vorn: alles haben wir gehabt, dazu als Dreingabe das erst unterstellte und dann hochgejubelte Lebensgefühl der 50er, das heißt bei „Lebensgefühl“ muß es „fifties“ heißen (klingt gleich 'ne Stufe lebensgefühliger), und nicht 50er. Nun also noch 'ne Ausstellung, obwohl doch der ganze Sermon schon dreimal abgefeiert ist, paßt aber trotzdem ganz gut, wegen der vierzig Jahre BRD, sechs Jahre Kohl und fünf Jahre Weizsäcker. 50er also, falsche Fuffziger sogar.

Zwei Ausstellungsräume gibt es: einen Verkaufs- und Ausstellungsraum für PKW - einen Glas-Stahl-Rundbau aus eben jener Zeit - und „das Treppenhaus“, einen Beton-pur -Treppenaufgang in einer Stadtautobahnbrücke, der seit einiger Zeit als Galerie benutzt wird. Der Muff sollte wiederauferstehen (Ausstellungstitel: „Zwischen Muff und Moderne“), und so hat man einiges an Hausrat zusammengetragen: Sofas, Sessel, Stühle, Tische, Musiktruhen, Toaster, Lampen, Plattenspieler, Fernseher, Ventilatoren, Radios, allerlei Kleingerät, einen VW-Käfer, eine Lambretta, eine zweisitzige NSU (einige „falsche Fuffziger“ sind auch dabei, siehe Ausstellungsmotto - sic!). Das alles ist im Pavillon, nein, nicht gehäuft, gestapelt oder zusammengedrängt, sondern ausgestellt! Schwuppdiwupp wird der ganze Krempel halb Kunstobjekt, halb Verkaufsware, die sich potentiellen Kunden anpreist und nur die Schokoladenseite zeigt. Muff, Enge, Erstickungsängste nichts davon zu merken im lichtdurchfluteten Rundbau. Der Trödler um die Ecke hat da mehr Beklemmung zu bieten. Die gleichfalls anvisierte Moderne ist da schon etwas präsenter: technisches Gerät wie nichtautomatische Toaster oder kühl funktionale Plattenspieler und Fernseher oder die eine oder andere Sitzgelegenheit wie Draht- und Schalensessel. Der Rundgang erweist sich vor allem als erinnerungsträchtig. „Ach kuck ma, son Teil hat meine Oma auch gehabt.“ - „Sowas steht bei uns immer noch rum.“

Wenn kein Familienstück mehr zu entdecken ist, macht man es sich in einem der Möbel bequem (Hoch- oder Trivialdesign stehen zur Auswahl) und stöbert in den ausliegenden Zeitschriften, um dann doch noch auf den Muff und eine manchmal vermeintliche Moderne zu stoßen: 'magnum‘, eine Zeitschrift (zum Teil Hochglanz) für Ästhetik, Design, intelligentes Wohnen und überhaupt modernen Geschmack. Oder das großformatige 'konkret‘, damals noch Studentenzeitschrift, nichts als Bleiwüsten, in denen ein Leitartikel von Ulrike Meinhoff und Leslie Meiers (alias Peter Rühmkorff) Lyrik-Schlachthof zu finden sind. Oder 'praline‘, Monatsheft und die damalige westdeutsche Antwort auf 'readers digest‘ mit dem abgeschlossenen Roman, wonnigen Urlaubsberichten oder einer Reportage über Rußlands Frauen (sind gar keine Arbeitsroboter, sondern richtige Frauen wie anderswo auch). Beim Durchblättern schwant einem so einiges, aber nichts, was nicht aus der SAT1-Heimatfilmreihe schon bekannt wäre.

Bleibt noch der Katalog zu erwähnen, der um einiges ergiebiger ist als die Ausstellung und ab und zu sogar mit einigen Boshaftigkeiten aufwartet: ein erhellendes Gespräch mit Michael Rutschky, eine Archäologie des Halbstarken (Peter Kiefer), ein Kindheitsbericht (Lassahn / Modick) und anderes Lesens- und Wissenswertes.

Das Merkwürdige an der Beschäftigung in den 80ern mit den 50ern ist ist, daß sie im freischwebenden Raum von Ästhetik und Lebensgefühl stattfindet. Selbst Kalter Krieg und reaktionäre Staatsräson verkommen zum plumpen feeling der fifties. Der Nationalsozialismus findet gemütlich Platz in einer snapcouch, die Gesellschaft in den 50ern wird zum ästhetisch umwobenen Mythenland, das aus dem Nichts entstand und spätestens im Jahre vierzig der BRD zum allseits bestaunten Fundament der Republik geworden ist. Eine Nation geboren aus lauter Lebensgefühl.

Gunske

„Falsche Fuffziger“ bis 7.Juli im Treppenhaus, Albrechtstraße129, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa 10-14 Uhr; im VW -Pavillon, Schloßstraße38, Mo-Fr 9-18 Uhr, Sa 10-13 Uhr

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