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WM in BerlinDie internationale Ballverliebtheit

Beim Club Deportivo Latino in Reinickendorf spielen Chilenen, Argentinier, Brasilianer, Ecudorianer, Honduraner und viele mehr. Dem Trainer aus Peru spielen sie zu viel. Er vermisst deutsche Disziplin im Team

Lateinamerikanern mangele es an deutscher Disziplin, meint der Peruaner Migel Pena. Bild: DPA

Was Migel Pena auf der Sportanlage am "Am Schäfersee" in Reinickendorf am meisten stört, sind die Flugzeuge. Der Flughafen Tegel ist nicht weit, und an einem ganz normalen Trainingsabend donnern mindestens 20 Jets ziemlich tief über die Platzanlage. Dann nutzt auch die große Trillerpfeife des Trainers von Club Deportivo Latino nicht mehr viel, die der Coach so oft und gern in den Mund nimmt.

Für einen Trainer wie Migel Pena ist das mit dem Lärm ein ganz besonderes Problem. Der Übungsleiter aus der peruanischen Hauptstadt Lima definiert sich als ein Trainer der alten Zunft. Gern brüllt er lautstark Kommandos über den Platz. Und wenn das nichts nutzt, dann greift er zur Verstärkung seiner Autorität halt gern zur Pfeife.

"Meine Vorbilder sind Otto Rehhagel und Felix Magath", sagt der 47-jährige Peruaner stolz. Und wer ihn beim Training beobachtet, der glaubt ihm das sofort. "Wir Latinos sind einfach zu ballverliebt und disziplinlos. Da muss ich hart durchgreifen, um die Jungs in den Griff zu bekommen", erklärt Migel Pena seinen etwas antiquiert wirkenden Führungsstil. Vielleicht hilft ihm da auch sein letzter Job in Lima. Dort war Pena nämlich Polizist. "In einer der gefährlichsten Städte dieser Erde", wie er nicht ohne Stolz noch nachschiebt.

Das alles erzählt der sympathische Peruaner auf Deutsch. Wenn er dann aber wieder zu seinen Jungs auf die Platzanlage schreitet, herrscht dort eine andere Sprache. Bei Latino Deportivo wird nur Spanisch gesprochen. Vor dem Training, im Training, nach dem Training und bei den Meisterschaftsspielen in der Kreisliga C sowieso. Selbst die Homepage des Klubs ist in Spanisch gehalten.

Club Deportivo Latino ist der einzige lateinamerikanische Fußballverein in der Hauptstadt. Hier versammeln sich Spieler aus allen lateinamerikanischen Staaten. "Mit Ausnahme von Belize vielleicht", wie der erste Vorsitzende, der "Presidente del Club", Christian Villalba, erklärt. Dass das keine Angeberei ist, beweist ein Blick auf den Trainingsplatz. Die Trikots der Kicker schmücken illustre Namen wie Messi aus Argentinien, Forlan aus Uruguay oder Kaka aus Brasilien. Trikots aus Ecuador oder Kolumbien, El Salvador oder Honduras werden Am Schäfersee ebenfalls gerne übergezogen.

Vor 15 Jahren wurde der Verein gegründet. Er bietet den lateinamerikanischen Fußballspielern in Berlin auch Abseits des Platzes ein Stück Heimat. Club Deportivo Latino hieß zunächst Club Deportivo Condor, dann Club Deportivo Inkas und schließlich so wie heute. Schöne, klangvolle Namen sind das. "Nur leider sind wir sportlich noch nicht so berühmt, wie die Namen vermuten lassen", erklärt Presidente Villalba, der ursprünglich aus Ecuador stammt. Sein Verein ist fast ein Abziehbild der lateinamerikanischen Mannschaften bei dieser WM. Überall ernten die Kicker Hochachtung für ihre Spielkunst, ihren mitunter unbändigen Spielwitz. Und am Ende verlieren sie dann doch gegen die Teams aus dem alten Europa. Wohl auch deshalb hat der Verein Deportivo Latino aus Berlin vor einem Jahr den strengen Peruaner Migel Pena als Trainer verpflichtet. Der kann nach eigenem Bekunden zwei Dinge besonders gut, "nämlich deutschen Fußball zeigen und Gastronomie". Pena wurde in Berlin vom Polizisten zum Koch umgeschult.

Er setzt auf Disziplin und verzweifelt doch immer wieder, wenn im strengen Winter die Leistungen der Spieler rapide nachlassen. "Die Berliner Winter sind zu kalt für uns", erklärt er ganz nüchtern und zuckt mit den Achseln. Die meisten Spieler des Vereins zieht es eben im Dezember vor den warmen Ofen oder besser gleich in die Heimat nach Lateinamerika statt zu einem harten Kreisliga-C-Kick auf Eis und Schnee.

Das Team der Kellner

Erstaunlich viele der Deportivo-Spieler arbeiten als Kellner in lateinamerikanischen Bars oder Restaurants in der Hauptstadt. Auch der Chilene Claudio Hanson. Vor einem Jahr ist er aus Santiago de Chile an die Spree gezogen, und sein erster Weg führte ihn gleich zum Fußballklub Deportivo Latino nach Reinickendorf. "Von dem Verein habe ich schon in Santiago de Chile gehört. Wenn du nach Berlin ziehst und Fußball spielen willst, dann geh nach Deportivo", hieß es in der chilenischen Hauptstadt.

Kein schlechter Ruf also, der dem Klub da vorauseilt. Auch deshalb, weil es bei Deportivo um mehr als Fußball geht. Man trifft sich zum Essen, geht in die lateinamerikanische Disco, schaut die Fußball-WM zusammen mit den Familien. "Die dritte Halbzeit ist genauso wichtig wie auf dem Platz", erklärt der Vorsitzende Villalba in schönen deutschen Fußballfloskeln.

Viele seiner Spieler sind Berliner in der zweiten Generation. Sie sind nicht selten die Söhne politischer Flüchtlinge aus Lateinamerika. Vor allem in den siebziger und achtziger Jahren, als fast ganz Lateinamerika von blutigen Diktaturen beherrscht war, zog es viele Aktivisten nach Westberlin. Die Freie Universität war ihr Zentrum. Hier machte man weiter Politik, vergaß aber den Fußball nicht.

Mittlerweile hat sich das Verhältnis von Politik und Fußball umgedreht. "Heute spielt der Fußball die erste Rolle. Über Politik reden wir nur noch selten", erklärt Viallalba. In Lateinamerika hat sich politisch zum Glück vieles verändert. Und das spürt man sogar bis nach Reinickendorf.

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