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WM-Qualifikationsspiel gegen SchwedenUnd es ward unentschieden

Wie konnte das passieren? Nach einem Vorsprung von vier Toren erreichen die deutschen Fußballer nur ein Remis. Wo das Hirn scheitert, hilft der Glaube.

Die Wege des Herrn sind unergründlich: Jogi Löw, ratlos wie alle. Bild: dpa

„Soll ich jetzt was Grundsätzliches sagen?“ brach es kurz nach dem Abpfiff aus Toni Kroos heraus. Der Reporter hatte sich alle Mühe gegeben, neue Formulierungen zu finden – und doch die im Kern immer gleiche Frage drei Mal gestellt: Wie konnte das eben Geschehene geschehen?

Kroos wusste es nicht. Philipp Lahm wusste es auch nicht. Bastian Schweinsteiger, tja, der konnte auch nichts Erhellendes sagen: „Ich weiß es auch nicht“ kam in seinen Antworten vor – und jede Menge „ich glaube“. Wie soll auch der gemeine Fußballer kurz nach dem Erlebten etwas erklären, woran der Trainer, alle Auskenn-Journalisten und selbsernannte wie tatsächliche Experten scheitern würden?

4:0 stand es nach 56 Minuten. Für Deutschland. Es waren wunderschöne Tore, die die deutsche Mannschaft herausgespielt hatte. Schon das grenzte an eine Offenbarung, dass alle Menschen einmal sehen mögen, wie schön so ein Spiel sein kann. 4:4 stand es mit dem Schlusspfiff. Für Schweden. Die zweite Offenbarung: Es werde unentschieden. Und es ward unerklärlich.

Vielleicht ist es tatsächlich an der Zeit für etwas Grundsätzliches. Auch wenn Kroos nichts dergleichen sagen konnte, obwohl er eine Fernseh-Interview-nach-Spielende-Ewigkeit gen Himmel geschaut hatte. Doch da stand keine Antwort. Das Zeichen war in 93 Minuten auf dem Platz gegeben worden. Die Deutung obläge nun uns Menschen – und wahrlich wir werden scheitern.

Es war einfach geschehen

Als Jesus die Geister aus dem besessenen Geraseneser vertrieb, diese bösen Gedanken dann übergingen auf die Schweineherde und sich diese daraufhin ertränkte, kam auch keiner auf die Idee, zu erklären, warum der Mann wieder gesunden Geistes war während die Schweine kollektiven Selbstmord begangenen hatten. Es war einfach geschehen. Und es war unerklärlich.

Als Jesus einen See zum Schweigen gebracht hatte, fragten sich viele, wer das sei, der sogar die Wellen zähmen kann. Sie fragten. Aber eine Antwort, die wurde ihnen nicht zuteil.Und so fragen die Menschen nach den Zeichen von Dienstag auch heute: Wie konnte das passieren? Und wieder wird es für sie keine Antwort geben. Selbst wer auf dem Platz stand, wer im Stadion saß, wer am Fernseher zuschaute, weiß nicht, wieso es plötzlich 1:4, 2:4, 3:4 und 4:4 stand. Es war schlicht passiert.

Die Religionen, die noch heute an Evangelien werkeln, müssen irgendwo zwischen Garten Eden und blutiger Apokalypse den Abend von Berlin reinschreiben. Das Ganze wird dann über die Jahrhunderte aufgeblasen bis es so wörtlich zu nehmen ist wie die Bibel. Gar nicht. Vielleicht wird von einer Schlacht zu lesen sein, das Volk der Deutschen überlegen und wie der sichere Sieger scheinend – und dann fanden die tapferen Schweden, von höherer Macht gesegnet, das Glück doch noch auf ihrer Seite und obsiegten. Fast. Keine der Parteien musste – nachdem das Zeichen offenbar geworden – das Feld als Verlierer verlassen. Denn unser Herr/unsere Frau/unser heiliger Gefriertrockner (was auch immer in dieser fernen Zukunft als übergeordnete Macht gesehen wird) ist gut und gerecht und eher ein ausgleichendes Gemüt.

Dieses Spiel gehört in eine heilige Schrift. Antworten sind für Zweifler und die empfangen ja bekanntlich nichts. Amen.

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5 Kommentare

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  • K
    kroete

    Sind Religionen nur Projektionen menschlichen Unwissens und Angst, so ist aus dieser Perspektive die Nationalelf mit beidem reichlich gesegnet.

    Das mit dem Messias und den Elf Jüngern ist doch auch ziemlich in die Hose gegangen, da muss sich Jogi nicht grämen, ein popliges irdisches Spielchen aus den Händen zu geben, während Gott nicht einmal würfelt, sich schon gar nicht als Fußballer zeigt, wenngleich Fanatiker ihre Idole schnell in den Stand eines Gottes erheben, berauscht um das Goldene Kalb tanzen.

  • T
    T.V.

    Für die einen ist das Glas voll, für die anderen leer. Vielleicht hilft's mal endlich zu bemerken, daß das ein Spiel ist und keine naturwissenschaftliche Betrachtung mit Neigung zu religiösem Fanatismus. Und noch ein paar Rechtsextremen die in der Masse keiner bemerkt. Wer heilt die Irren von ihrem Wahn, die sich von ihrem Hungerlohn noch ein 100Euro-Ticket kaufen für den Schwachsinn?

  • CF
    Cpl. Flashback

    Das war aber mal schön geschrieben,sehr kreativ.

  • T
    Teermaschine

    Nix da, wir brauchen keinen Heiland, der uns die Schuhe schnürt. Was zählt ist auf dem Platz! Und da haben wir wieder einen Trainer gesehen, den man besser Träne denn Coach nennen sollte. Was schon bei der blutarmen Niederlage bei der Euro zu bestaunen war, fand bei diesem Spiel ihre Fortsetzung: Der Popelfresser hat weder Plan noch Einfluss auf unsere Ferreros (bei denen das, was oben reingeht, genau so aussieht wie das, was unten rauskommt). Spätestens nach der zweiten schwedischen Bude hätte man eine Reaktion von der Bank erwarten dürfen. Da muss man umstellen, auswechseln, notfalls mal vom laufenden Personal die Freilegung eines schwedischen Knochens fordern. So aber wird das nix!

  • W
    Wüstenratte

    Oh Her laß Hirn regnen für die nächste Jogianalyse, oh Herr, laß sie lernen das ein Spiel 90 Minuten dauert, oh Herr mir graut vor der B-Mannschft.