WM-Ausnahmespielerin Caicedo: „Kolumbien ist Linda!“
Die erst 18-jährige Linda Caicedo ist eine der großen WM-Entdeckungen. In Kolumbien wird sie auch wegen ihrer Lebensgeschichte verehrt.
Ihr Name bietet zum doppeldeutigen Wortspiel. Bei jedem Tor von ihr heißt es in Kolumbien wieder: „COLOMBIA ES LINDA“. „Kolumbien ist schön“ – aber auch „Kolumbien ist Linda“.
Linda Lizeth Caicedo Alegría gilt mit ihren 18 Jahren als Wunderstürmerin. Der jüngste Rekord: Am 24. Juli schaffte sie das, was nicht einmal Messi, Maradona und Pelé gelang: Sie hat einschließlich der Nachwuchsturniere an drei Weltmeisterschaften in weniger als einem Jahr teilgenommen und bei jeder mindestens ein Tor erzielt.
Gegen Deutschland versetzte sie mit einer eleganten Körpertäuschung gleich zwei Gegenspielerinnen und platzierte den Ball in die rechte obere Ecke. Die Kommentatoren zogen beim Jubeln die Vokale ins Unendliche beim historischen Sieg gegen den zweifachen Weltmeister.
„Es ist nicht einfach, Vorbild für so viele Menschen zu sein“, hat Linda Caicedo vor einem Jahr gesagt. Wie mag es ihr jetzt erst ergehen? Die Zahnspange ist mittlerweile weg, die zum Knödel geknoteten Afro-Zöpfchen sind noch da. Linda Caicedo wuchs in Villagorgona in der Region Valle del Cauca auf. Wenn man danach im Internet sucht, handelt einer der ersten Treffer davon, wie der 27.000-Einwohnerïnnen-Ort fließendes Trinkwasser bekam – im Jahr 2015 nach 30 Jahren Warten. Da war Linda Caicedo 10 Jahre alt.
Ein umgetauschtes Geschenk
Es ist auffallend, wie wenig man über sie als Mensch in den kolumbianischen Medien findet. Da haben ihre Eltern, die sie erst mit 18 Jahren ins Ausland gehen lassen wollten, wohl gute Arbeit geleistet. Diese haben sie immer unterstützt, sagt sie. In Interviews erzählt Vater Mauro Caicedo, wie er für die Tochter zu Weihnachten eine Puppe besorgte. Diese machte ihm und der Mutter klar, dass sie lieber einen Fußball und Fußballschuhe wollte. Er tauschte das Geschenk um.
Mutter Herlinda Alegría sorgte sich, weil sie ihre Schuhe beim Fußballspielen mit den Jungs auf der Straße schneller verschliss, als sie welche nachkaufen konnte. Nicht immer war Geld da. Aber wenn jemand mit Vorbehalten zum Mädchenfußball kam, sagte sie ihrer Tochter: „Wir Frauen können das auch!“
Als Linda fünf Jahre alt war, bat sie ihre Eltern, sie doch bei der Fußballschule Real Juanchito FC anzumelden. Sie war das einzige Mädchen, was sie aber nicht störte. Bis heute besucht sie immer noch die Schule, wenn sie in Cali ist, sagt der Co-Schulleiter Diego Vásquez.
Schon damals sei sie erstaunlich schnell und diszipliniert gewesen. Während viele Jungs am Handy hingen, verbrachte sie die Zeit auf dem Fußballplatz und weinte, wenn sie nicht zum Training durfte. Trotzdem schaffte sie mit 15 das Abitur.
Stress und Schwächeanfall
Seit Februar spielt sie bei Real Madrid. Schon als kleines Mädchen hat sie im Ausland spielen wollen. „Ich will hier lernen“, sagt sie in einem der ersten Interviews. „Ich will meine Familie stolz machen.“
Nach dem Sieg gegen Deutschland, als in Kolumbien alle völlig euphorisiert waren, blieb Linda Caicedo bescheiden. Sie sei sehr glücklich, der Tag sei sensationell gewesen. Doch jetzt würde das Team schon an Marokko denken. „Wir haben nichts gewonnen und die Weltmeisterschaft ist weiter sehr lebendig“, sagte sie in Sydney.
Zuletzt gab es immer wieder Meldungen über ihre körperliche Verfassung. Vor einer Woche soll sie einen Schwächeanfall gehabt haben. Wenig später wurde von Schmerzen in der Brust berichtet. Nationaltrainer Nelson Abadía gab Entwarnung. Übermüdung und Stress seien schuld.
All das ist nichts im Vergleich zu dem Drama während der Coronapandemie. Im Alter von 15 Jahren wurde bei Caicedo Eierstockkrebs diagnostiziert. Sie hatte Angst, dass ihre Karriere vorbei sein würde. Heute spricht sie offen darüber, weil sie anderen Mut machen möchte.
Es ist schwer zu glauben, dass Linda Caicedo erst 18 Jahre alt ist, wenn man sie reden hört. Bestimmt und auf den Punkt. Aber schließlich ist sie schon vier Jahre in der höchsten Liga aktiv gewesen. Zuerst bei América de Cali, dann bei Deportivo Cali, bevor es nach Madrid ging.
Am Montag kursierte in Kolumbien das Gerücht, Linda Caicedo verdiene bei Real Madrid zwischen 25.000 und 35.000 Euro im Monat plus 50 Prozent der Einnahmen aus den Bildrechten. In Kolumbien ist das unvorstellbar viel Geld. Die übliche Neiddebatte blieb aus. Vielleicht auch wegen des Herzens, das sie mit ihren Fingern auf dem Spielfeld formte. Eine Liebeserklärung an ihre Freundin Valeria. Auf Instagram schicken sich die beiden öffentliche Liebesbotschaften – wie das kolumbianische Teenager tun. Nur erfuhr die Welt, dass Linda ihr das Tor gegen Deutschland widmete und Valeria das „einfach Linda“ fand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!