WIRTSCHAFTSJOURNALISTEN SOLLEN WENIGER MIT AKTIEN HANDELN: Scheinheilige Ehrlichkeit
Das Schönste an der Debatte um die Wirtschaftsjournalisten und ihre Aktien ist die Scheinheiligkeit.
Natürlich liegt in der Semi-Insiderposition von Redakteuren eine Gefahr, da ihre Berichterstattung das Ansehen von Unternehmen und damit deren Börsenkurs beeinflussen kann. Spekulationen sollen ja auch keinesfalls nacktes Zocken sein, sondern sich immer auf Daten, Fakten und Analysen (auch der Journalisten) stützen.
Das Handelsblatt, bis vor kurzem einzige Wirtschaftstageszeitung, will also den Aktienbesitz von Mitarbeitern reglementieren: Wer über bestimmte Firmen berichtet, für den sind deren Aktien tabu.
Dass dabei für höhere Ränge wie Ressortleiter und Chefredaktion eine Regelung light eingeführt werden soll, ist schlicht hanebüchen: Auch wenn die Chefs seltener direkt im Blatt schreiben, geben sie doch gerade dessen Richtung vor. Sie sind demnach genauso wenig vor Interessenkonflikten gefeit wie ihre Reporter, die Bilanzpressekonferenzen von Flensburg bis München abklappern. Im Gegenteil: Die Aktienempfehlungen auf den Titelblättern diverser Anleger-Magazine dürften wohl kaum ohne Billigung der Chefredaktion dort erscheinen.
Allein – auch die beste Regelung schützt nicht vor Missbrauch: Wer seine heiklen Papiere über Familie, Freunde oder Berater handeln lässt, kann in jeder Redaktion ein blütenweißes Depot vorweisen und trotzdem schönste Finanzpolitik in eigener Sache betreiben. Mehr als der Appell an die freiwillige Selbstkontrolle bleibt also kaum.
Und noch etwas ist scheinheilig an der gegenwärtigen Diskussion: In anderen Märkten, beispielsweise den USA und Großbritannien, sind schon seit langem sehr präzise Regelungen in Kraft, durchweg als Selbstverpflichtung der Medienunternehmen und ihrer Mitarbeiter. Das ist kein Wunder, denn dort gehören bekanntlich Aktien, Fonds und Obligationen schon länger zum Vokabular breiterer Bevölkerungskreise als hier zu Lande.
Deutschland holt nun auf; Volksaktien werden mit millionenschwerem Werbedruck unter die Leute gebracht. Doch bei aller Veränderung in der deutschen Presselandschaft: Nicht alle auf Wirtschaftsthemen spezialisierten Medien und erst recht nicht das Handelsblatt sind Neugründungen anlässlich des Telekom-Börsengangs. Das Problem ist demnach etwas älter als das jüngste Aufflackern der Berufsehre. Jetzt ist es immerhin entdeckt worden. Der Rest ist Marketing. STEFFEN GRIMBERG
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