WIDER DIE MARKTLOGIK: 200.000 RINDER FÜR NORDKOREA: Helfen statt verbrennen
Kann man auf einem Leichenberg von 1,5 Millionen Rindern eine neue Landwirtschaft aufbauen? Kann man in der Abzugsfahne der EU-Verbrennungsöfen glaubwürdig für die Integrität der Tiere kämpfen, für eine weitgehende Agrarwende, nach der die Kühe künftig mehr sein sollen als Milch- und Fleischmaschinen?
Renate Künast hat lange gerungen, bis sie der Massentötung der Rinder zugestimmt hat. Es ist ein fürchterlicher Einstieg, wenn eine Ministerin quasi als erste Amtshandlung das Bolzenschussgerät für solch eine Aktion durchladen muss. Das edelste Tier in den Ställen Mitteleuropas ist zum Entsorgungsproblem geworden, soll millionenfach in den Ofen geschoben werden. Nicht nur die Asche wird übrig bleiben, sondern Beklommenheit und Scham. Und die Gewissheit, zivilisatorische Grenzen überschritten zu haben.
Jetzt bekommt die Ministerin und mit ihr die gesamte BSE-Nation eine neue Chance. Der unermüdliche Rupert Neudeck vom Notärztekomitee Cap Anamur hat vorgeschlagen, 200.000 geschlachtete Rinder nach Nordkorea zu verschiffen, wo die Hungerepidemie mit solch einem Fleischimport aus Europa erheblich gelindert werden könnte. Die Regierung des Landes ist offenbar zur Abnahme bereit. Die bisherigen Einwände gegen Exporte in Hungergebiete scheinen ausgeräumt zu sein. Vor allem: Es gibt in Nordkorea keinen Rindermarkt, der wegen der EU-Einfuhren zusammenbrechen könnte. Und es erscheint auch ethisch vertretbar, getestete und von definiertem Risikomaterial befreite Rinderhälften in die Hungergebiete zu schicken, um damit Not zu lindern. Das Fleisch ist auch nicht gefährlicher als alles, was in unseren Supermärkten liegt, täglich gekauft und gegessen wird.
Die Menschen haben noch nie verstanden, wieso die Planierraupen an einem Ende des Weltdorfs Nahrungsmittel unterpflügen, während am anderen Ende gehungert und gestorben wird. Die Aktion Korea wäre eine einmalige Chance, die Logik der Märkte zugunsten einer Hilfsmaßnahme zu durchbrechen. Es würde nicht nur den Nordkoreanern, sondern auch uns selbst helfen. Denn die Massenverbrennung ist nichts als ein Fanal der Ausweglosigkeit. 200.000 Rinder für Korea werden die geplante Verbrennung wohl nicht grundsätzlich verhindern, aber zumindest das Ausmaß reduzieren. Die neue Jeanne d’Arc der Grünen sollte nicht zögern und den Neudeck-Vorschlag aufnehmen. Ein Schiff nach Korea. Es ist nicht die Arche Künast. Aber ein Signal der Restvernunft.
MANFRED KRIENER
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