WICKERT HAT RECHT, WENN ER SCHLECHTE KOMMENTARE KOMMENTIERT: Lebendige Meinungsvielfalt
Der Vorgang ist ungewöhnlich. Da kommentiert Moderator Ulrich Wickert den „Tagesthemen“-Kommentar eines MDR-Kollegen: „Dies war die Meinung von Georg Schmolz vom Mitteldeutschen Rundfunk und wohlgemerkt nicht die Meinung der ‚Tagesthemen‘-Redaktion.“ Das war bislang noch nie geschehen, auch wenn die zuständige Hamburger „ARD-aktuell“-Redaktion so manche Einlassung, vor allem der schwarz gefärbten Anstalten in Sachsen und Bayern, ähnlich skeptisch sehen dürfte wie Schmolzens Stück.
Nun hatte Schmolz zur kurzfristigen Absage der Lothar-Günther-Buchheim-Ausstellung im Stadtmuseum Chemnitz gesprochen. Hier sollten unter dem programmatischen Titel „Im Krieg“ Werke des Malers, Schriftstellers und U-Bootfahrers aus den Jahren 1941–45 ausgestellt werden, es entbrannte ein Streit um den einordnenden Begleittext, die Ausstellung platzte. Schmolz plädierte also etwas aufgeregt für mehr Gelassenheit im Umgang mit Buchheim und, im weitesten Sinne, NS-Kunst an sich. Und machte sich über den „Rechtsradikalismus in Ostdeutschland“ her, der verhindere, „dass Bilder wie die von Buchheim gezeigt werden können“. Diese Vermengung von Begriffen wie Rechtsradikalismus und Nationalsozialismus hat Wickert zum Kommentar des Kommentars veranlasst.
Recht hatte er. Egal, wie sehr die Schaltkonferenzen der ARD-Chefredakteure in den nächsten Tagen weiter versuchen werden, das angespannte Verhältnis zum MDR zu befrieden. Und egal, wie viel Unterstützung der MDR von anderen „Schwarzsendern“ erhält, die nun mit einem „Wehret den Anfängen!“ auf den Lippen ihre Chefredakteurskollegen bestürmen: Wenn, wie hier offenbar geschehen, ein auch formal fragwürdiger Kommentar von der zuständigen Landesrundfunkanstalt in die Sendung gehoben wird, muss die betroffene Redaktion dazu Stellung nehmen dürfen.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk funktioniert nach dem Prinzip des Binnenpluralismus: In seinem Programmen müssen alle politischen Richtungen und Ansichten gleichermaßen vertreten sein, lautet zumindest die hehre Theorie. In der Praxis muss dies immer dann zur Begründung herhalten, wenn einem Anstalts-Chefredakteur ein Vize aus dem jeweils anderen politischen Lager zugeordnet wird. Oder Kanzlerinterviews im schwarzroten Chefredakteurs-Doppelpack (Lieblingspaarung WDR/Bayerischer Rundfunk) absolviert werden. Derselbe Binnenpluralismus, also Meinungsvielfalt in einem Gemeinschaftsprogramm, muss aber auch innerhalb von ARD-Gemeinsschaftssendungen wie den „Tagesthemen“ möglich sein. STEFFEN GRIMBERG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen