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WENIG ORIGINELL: SCHRÖDER SCHÖNT ARBEITSMARKTZAHLENGroßes Vorbild Kohl

Schön, wenn es gut läuft. Dann geben Politiker als Grund ihr „entschlossenes Handeln“ und einen „soliden Kurs“ an. Schade, wenn es schlecht läuft. Dann sind natürlich „äußere Einflüsse“ schuld.

Zwei Jahre lang ließ sich die Bundesregierung feiern. Als sei der zögerliche Aufschwung allein sein Werk, stilisierte sich Gerhard Schröder zum Kanzler der Wirtschaft. Nun gehört es zu den Ritualen der Politik, ihre Allmacht zu betonen, den Glauben der Wähler an den starken Mann zu nähren. Auch war es für die SPD zu verlockend, der Union das Label Wirtschaftspartei abzuluchsen.

Berauscht ließ sich der Kanzler am Wahlabend gar zu konkreten Zielen hinreißen: Weniger als 3,5 Millionen Arbeitslose und weniger als 40 Prozentpunkte Lohnabzug für die Nebenkosten versprach er – überhaupt sollte jeder mehr „netto vom Brutto in der Tasche behalten“. Herr über die Stammtische und Kanzler der Wirtschaft – was konnte schöner sein?

Inzwischen marschiert Japan in die Rezession, die Wirtschaft stagniert in den USA, und hier zu Lande kühlt das Konjunkturklima ab – die Institute korrigierten ihre Prognosen nach unten auf 1,2 bis 1,7 Prozent Wachstum. Rund 2,5 Prozent sind aber nötig, damit überhaupt mehr Jobs entstehen. Außerdem steigt die Inflation auf überwunden geglaubte Werte, weil BSE und Opec das Leben teurer machen.

Die Regierung gerät unter Druck. Und plötzlich behauptet der Kanzler, gar nichts tun zu können: Nationale Maßnahmen hätten ihre Grenzen. „Was jetzt wichtig ist, ist eine Politik der ruhigen Hand.“ Reift da ein Mann in seinem Amt? Sicher, seit Jahren schwinden die Einflussmöglichkeiten der Politik, vor allem der Wirtschaftspolitik. Die Globalisierung der Märkte, das Fusionieren vieler Konzerne zu Multis, der internationale Wettbewerb – auch um Arbeitskräfte –, das alles engt den Spielraum beim Regieren ein.

Doch der Kanzler hätte durchaus Möglichkeiten gehabt, die Konjunktur zu fördern. Manche hat er genutzt. So verabschiedete die Regierung eine durchaus ansehnliche Steuerreform. Auch ist der Konsolidierungskurs nötig, damit der Staat nicht von Zins- und Tilgunglasten erdrückt wird. Die Ökosteuer entlastet den Faktor Arbeit, indem sie die Rentenbeiträge niedrig hält. All das ist geeignet, mehr Jobs zu schaffen.

Manche Möglichkeiten blieben aber ungenutzt. So traute sich die Regierung nicht, die Sozialleistungen zu reformieren. Bei der Gesundheitsreform fand Andrea Fischer im Kabinett kaum Unterstützung, während nun Ulla Schmidt so zaghaft agiert, dass sie den Krankenkassenbeitrag nicht stabil halten wird. Und die Ökosteuergelder nahmen auch bei der Rente den Druck, so radikal vorzugehen, wie es eigentlich erforderlich gewesen wäre. Das Ergebnis ist fatal: Trotz mehr als 20 Milliarden Mark Transfer aus der Ökosteuer sinken die Lohnnebenkosten kaum – was den Arbeitsmarkt weiter belastet.

Das hat Folgen für die Chancen Schröders wieder gewählt zu werden. Denn wenn die Wirtschaft weniger wächst, fließen nicht genug Steuereinnahmen, wird Eichel zum Sparen gezwungen, um die Haushaltskonsolidierung nicht zu gefährden. Das wiederum kürzt die staatlichen Investitionen und drosselt die Wirtschaft. Der Konsolidierungskurs ist aber tabu, ist er doch das Erkennungsmerkmal von Rot-Grün.

Sicher macht es wenig Sinn, jetzt noch hektisch in große Reformprojekte einzusteigen. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat würde kurz vor der Bundestagswahl doch nichts Gescheites herauskommen. Aber Schröder wäre nicht Schröder, wenn er wirklich ruhige Hände behielte. Schließlich darf er die 3,5-Millionen-Marke bei den Arbeitslosen nicht verpassen.

Zwei Entscheidungen sind schon gefallen. Gestern verkündete der Kanzler in Jena sein Investitionsprogramm Ost. Dahinter stehen natürlich kurzfristige Jobs in der darbenden Bauindustrie. Ein Konzept zur Konjunkturförderung, mit dem schon Japan scheiterte – und sich sinnlos verschuldete. Zweitens will die Regierung nun doch nicht den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung senken. Stattdessen soll weiter Geld für ABM fließen. Das sind genau dieselben sinnlosen Kurzfristmaßnahmen, mit denen schon Helmut Kohl seine Arbeitslosenzahlen zur Wahl frisierte.

MATTHIAS URBACH

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