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WEISSE MAGIE

■ Richard Barone im Quartier Latin

Ich sitze auf der Bühne zwischen den Monitorboxen, Kabel unterm Arsch, der Rhythmusgitarrist sitzt auf einem Stuhl hinter mir, mit amerikanischer Unfrisur, halblange, weiche Haare über die Ohren, und seine Akustische drückt mir wohlig in den Rücken. In die Monitorboxen sind Räucherstäbchen eingeklemmt, es muß fünf oder sechs Jahre her sein, daß ich das letzte Mal diesen Duft roch. Richard Barone steht direkt vor mir, streichelt seine Halbakustische, grinst über sein etwas dick geratenes Babyface, und wenn er zurücktritt, um ein Solo zu spielen, gibt er den Blick frei auf die Cellistin, die auf ihrem Stuhl sitzt, ihr Cello zwischen den Beinen, den Kopf an den Hals des Instruments geschmiegt, mit geschlossenen Augen. Wenn der Rhythmus schneller wird, öffnet sie ihre großen Scheinwerfer, blickt unter ihrem Pony auf Richard, lacht ihn an, und in jedem dieser Momente könnte ich mich unsterblich verlieben. In die Musik oder sie ist nicht zu unterscheiden.

Es gibt kein Schlagzeug, statt dessen Kesselpauken, Congas, Becken und allerlei Percussionkrimskrams, die von einer Frau bedient werden, die aussieht wie eine meiner Musiklehrerinnen. Mit langen braunen Haaren, die über den Ohren mit Spangen zurückgesteckt sind, beugt sie sich über die Kesselpauke, spitzt den Mund konzentriert und rührt langsam mit den Stöcken, stürzt zum Becken, ein Schlag, wieder zurück zu den Kesselpauken, dann ein paar Wirbel auf der Conga, eine Pause, sie legt den Kopf zur Seite, summt eine Melodie mit, konzentriert sich auf den nächsten Einsatz. Mein Blick fällt wieder auf die Cellistin, die an eine Hexe gemahnt, mit der großen kantigen Nase, dem strubbeligen blonden Haar, aber ich rede von weißer Magie.

Währenddessen fließen aus Richard Barones Mund wunderhübsche Melodiechen aus einem nahezu barocken Zeitalter der Popmusik. Eine Zeit, in der Songs noch Songs waren, so richtig mit Strophe / Refrain / Strophe / Refrain / Solo / Refrain, eine Zeit, in der Musiker sich noch bemühten, jedem Song ein eigenes Gesicht zu geben, mit obskuren Instrumentierungen experimentierten. Leider verloren sie sich später in kruden Spinnereien, aber Richard Barone steht noch ein ganzes Stück vor diesem Absturz, noch sind es wunderschöne kleine Liedchen, die manchmal ein bißchen zu sehr triefen, aber doch immer wieder die Kurve kriegen, bevor sie über diesen sehr dünnen Rand in den Sülz abschmieren.

Ich sehe von meinem Platz auf der Bühne in die Runde und sehe nur glückliche Gesichter, ein mildes, seliges Lächeln auf den Lippen, und Pärchen stehen Arm in Arm, wiegen sich leicht im Takt und legen die Köpfe aneinander. Nach jedem Song lacht Richard Barone aus vollem Herzen, verbeugt sich, freut sich über den Applaus und die allgemeine Harmonie, die er stiftet, auch wenn das Quartier dabei nur spärlich gefüllt ist.

Thomas Winkler

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