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WEHLER-DEBATTE: WISSENSCHAFTSPOPULISMUS ERZEUGT UNFRIEDENSchützenhilfe für die muslimische Diaspora

Professor Doktor Hans-Ulrich Wehler galt lange als Doyen der deutschen Historiker. Jetzt hat er sich extrem negativ zur Integration der Türken in Deutschland und zur türkischen EU-Kandidatur geäußert (taz vom 10. 9.). Wehler hat Unrecht: Die türkischstämmige Community in Deutschland ist keine muslimische Diaspora. Aber es gibt politische Kreise, die daran arbeiten, dass sie es wird. Und es gibt undifferenzierte populistische Äußerungen, die ihnen dabei Schützenhilfe leisten.

Wehler etwa reduziert Europa auf einen jüdisch-römisch-griechischen Hintergrund mit christlicher Tradition. Für die übergroße Mehrheit der türkischen Bevölkerung und der Türken in Deutschland dagegen ist Europa ein globales Modell einer offenen und multikulturellen Gesellschaft. Kein anderer EU-Kandidat unternimmt größere Bemühungen zur Überwindung der eigenen Kulturgrenze wie die Türkei – weil sie als laizistischer Staat einem säkularen Europa beitreten will. Wer wie Wehler Europa auf einen christlichen Klub reduziert, redet einem Kampf der Kulturen das Wort und begeht einen Akt der mutwilligen Zerstörung. Es gibt in Deutschland keinen Kampf der Kulturen, sondern einen Kampf um Integration und Gleichstellung. Darüber gilt es zu reden.

Es ist bekannt, dass Professor Doktor Hans-Ulrich Wehler über ein exzellentes sprachliches Artikulationsvermögen verfügt. Nun ist er ausgerechnet bei dem sehr sensiblen Thema Integration einer vulgär-populistischen Terminologie verfallen. Er spricht ausdrücklich von einem Türkenproblem und einer islamischen Diaspora in Deutschland. Damit bereitet Wehler den Nährboden für die fremden- und integrationsfeindlichen Kräfte, legitimiert die Argumente nationalistischer Kreise und fördert gleichzeitig auch Animositäten gegen den europäischen Einigungsprozess.

Tatsächlich hat die Bundesrepublik weder ein Ausländer- noch ein Türkenproblem. Sie hat ein Zuwanderungssteuerungsproblem. Dieses Problem ist zu ernsthaft, als dass man es mit Schlagworten abhandeln könnte. ALIȘAN GENÇ

Stellv. Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland

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