WDR-Dokumentation über Domian: Reden im Dunkeln
Die Nacht öffnet Seelen: Nachttalker Domian hört 2016 auf. Schon jetzt widmet sein Haussender ihm eine unkritische Doku.
„Ich brauche das wie die Luft zum Atmen“, sagt die Fernfahrerin, die fast jede Nacht von Dortmund nach Kassel fährt und dabei „Domian“ hört. „Es bringt die versteckten Abgründe der Gesellschaft ans Nachtlicht. Das ist eine Erweiterung meines emotionalen Horizonts“, sagt der Mann, der an einer Tankstelle arbeitet, über den Nacht-Talk. „Wir machen das jetzt seit 20 Jahren, da entsteht so etwas wie eine einseitige gute Bekanntschaft, vielleicht sogar Freundschaft“, sagt Jürgen Domian selbst über seine Zuschauer und Zuhörer.
Mit mehr als 20.000 Menschen hat Domian in seiner Sendung live telefoniert. Lottomillionäre, Mörder, Hausfrauen, Satanisten, Verlassene, Pädophile: Domian spricht mit jedem.
Seit 1995 läuft der Talk Montag bis Freitag ab 1 Uhr nachts im WDR-Fernsehen und beim Radiosender EinsLive. Ende 2016 ist Schluss. Domian will nicht mehr. Der WDR widmet ihm schon jetzt eine 45-minütige Doku. Außerdem startet kommende Woche ein Kinofilm. Vorgezogene Abschiedsfestspiele.
Auf Kritik verzichtet die Dokumentation. Seit dem Start seiner Sendung wird Domian vorgeworfen, er überschreite ethische Grenzen, operiere im juristischen Graubereich, sei voyeuristisch und überschätze seine Fähigkeiten. Thematisiert wird all das nicht. Der Film konzentriert sich auf den Talker, seine Mannschaft, Zuhörer und Anrufer. Es geht um Einsamkeit, Hilfsbedürftigkeit, Verzweiflung – und die Nacht.
TALK Doku (2. November, 23.15 Uhr, WDR) über den Nachttalker Domian
„Die Nacht öffnet die Seelen. Man spricht anders, wenn es dunkel ist“, erklärt Domian, der ab und an esoterische, küchenpsychologische Tendenzen entwickelt. Er selbst geht zwischen 5 und halb 6 Uhr morgens ins Bett, leidet unter Schlafstörungen.
Er war als Jugendlicher tiefgläubig, fiel vom Glauben ab, rutschte in eine Lebenskrise, entwickelte Essstörungen. Viel näher kommt die Doku dem 58-Jährigen nicht. Dafür aber den anderen Menschen der Nacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“