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WAS IST LICHT? Von Mathias Bröckers

Wer von der Quantenphysik nicht entsetzt ist“, meinte einst der Physiker Niels Bohr, „der hat sie nicht verstanden.“ Deshalb entwickelte er an seinem Institut in der dänischen Hauptstadt in den 30er Jahren jene Interpretation der Quanten-Widersprüche, die heute als „Kopenhagener Deutung“ von den meisten Physikern anerkannt wird. Das Problem, das Bohr und seine Kollegen so entsetzte, war das mysteriöse Doppelgesicht der subatomaren Vorgänge: betrachtete man sie als Phänomen gewöhnlicher Teilchen, ließen sich diese Teilchen auch lokalisieren, betrachtete man sie aber als Welle, besaßen sie plötzlich Welleneigenschaften und breiteten sich überall aus. Wie aber kann etwa das Licht einerseits aus einzelnen Partikeln (Photonen) bestehen und gleichzeitig als durchgehendes Wellenband existieren? Dem mit den Daten der Makro-Welt gefütterten gesunden Menschenverstand scheint das unmöglich, doch in der Mikro-Welt verhielt es sich nun einmal so — Niels Bohr löste das Dilemma mit einem radikalen „entweder/oder“: Licht verhält sich, wie jedes Elektron auch, entweder wie ein Teilchen oder wie ein Welle, aber niemals wie beide zugleich. Was Licht, was die aus Elektronen bestehende Materie, was Wirklichkeit ist, entscheidet die Wahrnehmung, der Aufbau der Meßinstrumente — die ganze Wirklichkeit können wir nie auf einen Blick erkennen, sie hat immer eine verborgene, komplementäre Seite. Je genauer wir etwa den Ort eines Teilchens ermitteln, desto weniger wissen wir über seine Wellen-Frequenz — und umgekehrt. Dieses von Bohr eingeführte Prinzip der „Komplementarität“ stellt seit über 50 Jahren so etwas wie die philosophische Grundlage der Quantenmechanik dar. Zwar mußten sich die Physiker damit abfinden, daß für sie immer nur eine Teilwahrheit beobachtbar war, dafür aber konnten sie mit Bohr sicher sein, daß hinter dieser Beobachtung keine unbekannte „tiefe Realität“ lauerte, sondern nur die, in einem zweiten Meßakt prompt zu ermittelnde, komplementäre Teilwahrheit. Nur Albert Einstein, als einziger der Quantenpioniere, wollte sich damit nicht abfinden: im unbeobachteten Zustand nämlich erklärten die Kopenhagener die Realität für schlichtweg nicht vorhanden, was den Realisten Einstein zu der polemischen Frage veranlaßte, ob dann etwa eine kleine Maus das ganze Universum dadurch verändern könne, indem sie einfach hinsieht. In seinen letzten 20 Lebensjahren wurde Einstein nicht müde, auf der Unvollständigkeit der Quantentheorie zu beharren — jetzt scheint es, daß er damit recht behalten könnte. Der New Scientist berichtet in seiner jüngsten Ausgabe von einem Experiment der japanischen Forscher Y. Mizobuchi und Y. Othake, bei dem Licht sich gleichzeitig als Teilchen und als Welle verhält. Das Ergebnis des Experiments, das auf eine Idee von drei indischen Wissenschaftlern zurückgeht, wollen die Forscher demnächst in der Fachzeitschrift Physics Letters veröffentlichen. „Das Ergebnis“, so der New Scientist, „beeinträchtigt die Gültigkeit der Kochbuch-Rezepte nicht, nach denen zum Beispiel bei der Herstellung von Mikrochips oder Lasern praktischer Gebrauch von der Quantenmechanik gemacht wird. Aber es bedeutet, daß die Physiker eine vollständig neue philosophische Basis brauchen werden, um die Vorgänge auf der Quantenebene zu verstehen.“ Was ist Licht? Wir wissen es schon wieder ein bißchen weniger.

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