WAS ICH NOCH FRAGEN WOLLTE

■ Lounge Lizards im Metropol am Sonntag, 28.Mai

Sehr geehrter Herr Lurie, könnten wir uns vielleicht mal, wenn es Ihnen genehm ist, unterhalten oder zumindest dieses und jenes Wort wechseln, Sie stehen da stets so allein, in irgendwelchen amerikanischen Landschaften, so um die neunzehnhundertvierundachtzig herum, in schwarz und weißen Landschaften standen Sie und schauten mal hier, mal dort hin, sagten dies und jenes und letzendlich verpaßten Sie auch noch das Flugzeug, fast, allein blieben Sie trotzdem.

Sehr geehrter Herr Lurie, Sie, der Sie einst zur High -School in Massachussetts schlurften und mit Ihrem Bruder dem Vernehmen nach Blues inhalierten, erzählen Sie mir, wieso Sie die großen schwarz und weißen Landschaften irgendeines Amerikas verlassen haben und nun hier stehen, in Berlin, wo es keine Landschaft gibt, um nur zu stehen und zu schauen und zu staunen. Nein, Sie wollen keine Worte mit mir wechseln, ich weiß sehr wohl, Sie wechseln lieber Töne mit Ihrem Bruder und Euren Freunden, den Saxophonisten und Jazz -Musikern, Sie spielen hier im Metropol lieber einen schwarz und weißen Dialog, stellen Fragen mit Ihrem Saxophon und warten auf die Antworten der Saiten-Instrumente. Sie gehen auf der Bühne lieber auf und ab, flüstern Ihrem Freund etwas ins Ohr, blicken eichhörnchenhaft nirgendwo hin, lächeln leicht und verschmitzt, freuen sich über diesen und jenen Ton, und nun ist es an Ihnen, die Frage Ihres Schlagzeugers, des einen mit den bleckenden Zähnen, zu beantworten, mal sehen, was Sie zu sagen haben. Fake-Jazz nannte man es damals, als Sie, Ihr Bruder und Ihre Freunde sich für das Berliner Jazz-Festival neunzehnhunderteinundachtzig schwarz und weiß haben ablichten lassen, in italienischen Anzügen, mit viel zu viel Schatten und viel zu viel Licht. Sie sehen einfach nur aus, neunzehneinundachtzig, neunzehnvierundachtzig und neunzehnneunundachtzig. Den Mund nach vorn geschoben, die Hände in den Taschen, nun, zugegebenermaßen, heute nicht, denn Sie müssen schließlich Ihrem Saxophon diesen und jenen Ton entlocken. Fake-Jazz hieß es damals, als No-Wave, Defunkt und James Blood Ulmer über die New Yorker Bühnen hüpften, jegliche Veränderung der Tonlage wohlweislich vermeidend. Sample -Jazz, würde ich jetzt gerne fragen, sehr geehrter Herr Lurie, was ist Sample-Jazz? Sie und Ihre Freunde haben uns heute vieles vorgeschlagen, schummrige Nightclub-Melodien und verkrachten Fake-Blues, Sie schlagen uns heute vieles vor, und die Frauen freuen sich sehr, Ihnen zuhören und zuschauen zu dürfen, LoungeLizardLurie, sie würden gerne mal mit Ihnen an einer Bar hocken, im enggeschnittenen Abendkleid, weltenkennend im Hotelfoyer, und es spielen auf die Lounge Lizards, Tanzmusik, um über die Spiegelfläche Arm in Arm zu gleiten.

New York, Herr Lurie, oder Massachussetts, oder irgendeine amerikanische Landschaft in irgendeinem Amerika, man würde Sie gut zahlen dort, als Lounge Lizard, als gemieteten Tänzer, nundenn, hier in Berlin aber, verstehen Sie nicht falsch: Es hat mir Spaß gemacht, mit Ihnen zu plauschen, ich wünsche Ihnen eine gute Nacht und Ihren Freunden auch: Gute Nacht, LoungeLizardLurie. Es hat Spaß gemacht. 30 Jahre zu spät und 3.000 Meilen zu weit.

Thomas Langhoff