WANDUNDBODEN: Diese Stellen muß man suchen
■ Kunst in Berlin jetzt: Art in Ruins, Julius, Tiger, Christin Lahr
Die Zeit der »37 Räume« ist vorbei, die Spielwiesen an der Auguststraße sind geräumt, der kurze Sommer der Kuratoren ist zu Ende. Übriggeblieben sind»Art in Ruins«. Sie haben nicht nur den ersten Berliner Off-Marathon mit ihrer Ausstellung »Sans Frontiers« in der Likörfabrik, Auguststr. 91, überstanden, sondern zur selben Zeit die Grenzen der Hochkultur verwischt: das DAAD zeigt, zeitgleich mit der Ost- Präsentation, »Conceptual Dept — Art in Ruins« in seinem Refugium in der Kurfürstenstr. 58. Alles ist eben mit allem verbunden, die Politik des britischen Duos scheint zumindest für Berlin zu stimmen. Die Arbeiten in der Likörfabrik spiegeln Kultur als Tourismus in einer verfallenen Welt, verdoppeln die kritische Konstellation der Minidocumenta im kaputten Kiez und vertiefen die Kluft zwischen Kunst und Leben in der Parodie. Musterurlauber als Schaufensterpuppen blicken auf die Schlachtfelder der modernen Industrie. Man steht immer auf der falschen Seite. Für das DAAD haben »Art in Ruins« noch einmal ihre Symbole der Ausbeutung und Unterdrückung Afrikas ausgebreitet. Malcolm X bekommt in einem gesondert angestrahlten Tafelbild einen Ehrenplatz in der Galerie zugewiesen. Der Blick vereint, was Geschichte trennt.
Likörfabrik, bis zum 19.7., Di.-So. 14-20 Uhr; DAAD-Galerie, bis zum 31.7. täglich 12-19.30 Uhr.
Auf seinen Beitrag zur »Räume«-Ausstellung angesprochen, hatte der kurierende Kunstkritiker Wolfgang Winkler ein wenig frostig geäußert, daß Kunst sich im Lärm des Scheunenviertels kaum durchsetzen könne. Rolf Julius würde ihm widersprechen. Mit seiner Klanginstallation auf der Documenta 8 hatte er selbst die einheimischen Obdachlosen von ihrem Stammplatz vertrieben. Der Bastler mit dem Baukasten der Minimal Art benutzt seine Objekte, um den Geräuschpegel des Alltags in kargen Inszenierungen absorbierend zu bündeln. Er katalysiert Klang. Wo das Geräusch in sich selbst schwingt, kann jeder andere Ton anknüpfen und Melodien erzeugen. Die aktuellen Arbeiten unter dem Titel »Eisen« basieren auf dem Widerstreit zwischen Akustik und Materie. Von quadratischen Eisenplatten überdeckte Lautsprecher senden clusterartige elektronische Signale aus, die der Stahl bricht. Statt Stille entsteht dadurch ein anwachsender, aber nicht genau zu lokalisierender Klangraum rund um die gesamte Installation, der sich für den Betrachter ständig vom Bodenobjekt zu entfernen scheint, wie ein nicht auslotbares Echo des Körpers. Erst mit der Zeit stellt sich zwischen Auge und Ohr ein Gleichgewicht der Wahrnehmung her, und man entdeckt die Quelle. Doch dann ist der eigene Körper bereits mit in das Klangwerk eingebunden, indem er hört, was er sieht: musizierenden Stahl.
Galerie Anselm Dreher, Pfalzburger Str. 80, bis 11.7., Di.-Fr. 14-18, Sa. 11-14 Uhr.
Von der Auguststraße führt eine winzig kleine Sackgasse direkt auf einen Schotterplatz zu. Davor liegt die Allgirls Gallery mit ihren einladend unverputzten Räumen. Eine Schmuddelgalerie, ganz nach der Art der Villa Kunterbunt und zugleich Ausstellungszwerg im Scheunenviertel von Mitte. Dort ist die »Tiger Work Show« zu sehen, eine Art Subpop-Retrospektive der Graphikerin Tiger. Sie hat sich vier Jahrzehnte zum anthologischen Maß genommen. Mit Filzstiftzeichnungen von Pferden beginnt die gefakete Autobiographie beschwingt in den Mädchenjahren der Künstlerin, dann folgen die ökobewegten 70er Jahre schwärmerisch zwischen Tuschebildern von Don Quichotte und aufgespießten Käferdrucken. Für die Achtziger stehen »Neue Wilde«- Phantasien und Kleinkunst für Kids. Der Rundgang endet in der Zukunft. 1994 wird Frau Tiger konzeptuell gearbeitet haben, wie in dem dafür gefertigten Maschinenobjekt, das die kaleidoskopische Macht des Geldes in einem Spiegelkabinett zeigt. Die Kunstgeschichte, auf einen einfachen Nenner gebracht, gehört allen. Nicht immer gibt sich die Künstlerin mit dieser Allerweltsweisheit zufrieden. An einigen Stellen, wo sie aus dem Netz der starren Bezüge herausrutscht und gegen den Strich historisiert, wird eine Ansammlung des Beiläufigen interessant. Doch diese Stellen muß man suchen.
Kleine Hamburger Str. 16, bis zum 16.7., So.-Fr. 16-19 Uhr.
Das Treppenhaus der Ackerstr. 18 wimmelt von merkwürdigen Unterweisungen, die wie Gebotstafeln an die Wände geschrieben sind. Alle Türen stehen offen, in den Zimmern ist fremdartiger Hausrat versammelt. In der Küche hängen Kontaktanzeigen, der Flur ist mit Sockeln verstellt, auf denen die gastgebende Künstlerin einige Nachrichten hinterlassen hat. Andere Gäste haben sich in Strichlisten verewigt und Wortspiele auf Fragebögen hinterlassen. Jeder Raum ein Kryptogramm. Christin Lahr hat das Haus in einen labyrinthischen Text verwandelt, ein Ariadne-Faden durch die Sprachen der Kunst. Auf zwei Stockwerken hat die HdK-Absolventin ihre Abschlußarbeit installiert. Ihr Atelier im Obergeschoß wurde mit der Galerie Art-Acker vernetzt, an manchen Stellen schaut noch die Litze als Kontaktstelle aus Wand und Boden hervor. Diese Nebensächlichkeiten erregen eine nahezu detektivische Aufmerksamkeit, mit der Christin Lahr Besucher immer weiter in ihr Zeichenreich lockt, ohne zu verführen. »Der Schein wird zum Bezugs-Rahmen«, erklärt der Pressetext die lauteren Absichten der Künstlerin, deren Arbeit unverschlüsselt »Duell und Duett« betitelt ist. Im Blick auf die Nebensachen verwandelt sich der oberflächliche Begriff von wohlgefälliger Kunstschau in das tiefer liegende Problem der Kommunikation mit Kunst. Zum Glück findet man dennoch aus dem Bau wieder heraus auf die Straße, in die Welt. Heidegger bleibt als Hausgeist zurück. Berlin hätte sich allerdings 37 Ausstellungen in gleicher Absicht sparen können.
Bis 25.7., Do./Fr. 16-20, Sa. 11-14 Uhr.
Harald Fricke
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