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WAND UND BODENFleischwerdung möchte man sagen

■ Kunst in Berlin jetzt: Clemens Weiss, Hokusai, Nan Goldin und Gundula Schulze

Weiss ist das Leitmotiv dieser Ausstellung: der Galerist heißt Weiss, der Künstler heißt Weiss und die Werke sind, wenn nicht weißlich oder durchsichtig, dann weiß. Die Materialien von Clemens Weiss sind von der schlichten Art: Glas, Kleber, Holz, Farbe, Zeitung, Fotografien, und auf den ersten Blick meint man, der Künstler konjugiere die Möglichkeiten des Archivierens und Lagerns. In gläsernen Kästchen finden sich sorgsam gehäufte Rechtecke beschrifteter Zettelchen, und in einem Regal — einem geweißten Stahlregal vom Typ »Hobbykeller« — sind geweißte Hölzchen sorgsam gestapelt wie kleine primitive Schlitten, Flöße oder Katamarane. In der geräumigen Etage der Galerie wirkt die Regalinstallation auf die Ferne noch anziehend, verliert aber beim Nähertreten ihre auratische Kraft, wie leider alles, was von Clemens Weiss hier zu sehen ist: die gläsernen Stelen, Häuschen und Kisten, in denen das Material allzu sorgfältig so eingerichtet wird, daß man weiß: der Künstler übt sich im Verstecken; und fürchtet, er möge wirklich auspacken, was er so beim Nachdenken notiert, und es gäbe mehr als das eine Bild, wo er sich beim Nachdenken fotografiert hat. Weiss, 1955 in Düsseldorf geboren und vor fünf Jahren als Unbekannter nach New York gegangen, kann selbstverständlich in gleichem Maß beschaulich und prätentiös sein (es ist dies auch die schwächere Seite seines ansonsten haushoch überlegenen rheinischen Konkurrenten Thomas Virnich); aber die Kombination von betulich und hermetisch ist eine Nische im dichtgepackten Markt, die zu schmal ist, um sich dort auch nur vorübergehend niederzulassen.

Galerie Vier, Schwedter Straße 263, bis zum 5. September Di.-Fr. 14-19, Sa. 11-15 Uhr

Eine völlig andere Welt: ein rötlicher Holztempel von vorn, in frontaler Ansicht, mit rund achtzig Figuren im Bild. Zwei Farben braucht Katsushika Hokusai, um die Standeskleidung- und moden der Zeit um 1830 vorzuführen, den Rot-Ton und einen ins Graue gehenden Grün- Ton. Eine gestreifte Kutte, ein gepunkteter ärmelloser Anzug mit ultrabreiten Schultern. Männer und Frauen flanieren und palavern gleichermaßen, der Unterschied in Tätigkeit und Haltung scheint gering. Bizarre »Rucksäcke« werden vorgeführt: eine Art in Tuch geschlagener, konisch zulaufender Schrank, der dem Träger bis weit über den Kopf reicht (in Grün); oder ein roter offener Tornister im Querformat, der beschriftet ist, als habe es damals schon die Manie mit den Labels gegeben. Ebenfalls mit der (natürlich japanischen) Schrift wird die Symmetrie des Tempel-Bildes unterlaufen. Am rechten Bildrand ist ein Schriftband eingefügt (ohne Bezug zum Bildraum), während die Tempelfassade links durch eine schmale schwarze Leiter durchbrochen wird, die bis ans Dach reicht.

Wenn das Museum für Ostasiatische Kunst seine Bestände des großen Meisters des japanischen Farbholzschnittes Hokusai (jetzt: Teil 2, bis zum 2. August) zeigt, dürfen die Wasserfälle nicht fehlen: Naturdarstellungen von fast häuslicher Angstlosigkeit, ein immer noch frappierender Zugriff auf die Perspektive, die verengt ist, ohne daß sie eigentlich »gerafft« zu nennen wäre, unmaßstäblich, aber nicht naiv. Farbverläufe, die manchen Pop-art-Künstler oder Fotorealisten müd' aussehen lassen. Am beeindruckendsten jedoch, in dieser Kabinettausstellung von 21 Bildern, sind die Literaturillustrationen, zwei davon nah am Portrait, mit sattblauem Fond (alle Reproduktionen, auch der jüngste Londoner Katalog, machen Hokusai viel zu blaß: offenbar ein europäisches Vorurteil). In einem raffiniert gebauten Genrebild »Shun erscheint an seinem 1. Todestag in Gestalt einer Schlange«, datiert »um 1830«, ist auf einer weißen Teetasse die spiegelverkehrte Swastika zu sehen (das bemerken auch die amerikanischen Besucher); man vermißt dann doch Erläuterungen. Spannend ist die Stelle, wo der gemusterte Körper der Schlange durch ein wohlgeordnetes Ensemble farbig gemusterter Wäsche fährt: man sieht Cézanne, van Gogh und Matisse über den Druck gebeugt und hört sie streiten über das, was zu sehen ist.

Lansstraße 8, Dahlem, Di.-So. 9-17 Uhr

Gänzlich entnervt durch Gschaftlhuber Klaus Biesenbachs fast substanzlose Staatsaktion »37 Räume« hätte ich die in seinen »Kunst-Werken« parallellaufende fotografische Ausstellung »Getrennte Welten« mit Gundula Schulze und Nan Goldin fast ausgelassen, gänzlich zu Unrecht, es ist vielleicht die Ausstellung des Sommers. In der Sammlung Domröse vermißt, hier ist sie zu sehen, die phantastische Fotografie Gundula Schulzes von einer Geburt; »Fleischwerdung«, möchte man sagen, Dresden, 1987. Schulze hat sich mit der in der DDR so beliebten Milieufotografie nicht weiter aufhalten mögen und ist hurtig fortgeschritten zum großen Thema des Fleisches (Pontormo, Bacon...), in dem Menschen und Tiere zusammenfinden, in den Ähnlichkeiten der »Vorgänge«, wie es jetzt wohl heißt. Als Essayistin (in der Arbeit erfindet sie ihr Thema) ertastet sie sich ein Equilibrium in der Übertreibung. Das Foto von der Geburt wird konterkariert durch das Portrait einer langhaarigen (vielleicht) Achtjährigen mit Brooke- Shields-Aura. Auch sie öffnet dem/r Betrachter(in) den Blick auf ihr Geschlecht, ein verschattetes Häutchen. Dieses Bildnis wiederum gesteigert durch die mittlerweile bekannte Fotografie des als Engelchen in Rosa verkleideten blonden Mädchens (auf dem Teerdach eines Schuppens), jene seltsame Mischung aus Narzißmus und Desinteresse im Gesicht, wie man es von den Kindern der aufstrebenden Underdogs (auch im Westen) kennt.

Nan Goldin geht ähnlich vor, sprunghaft, auch bei ihr findet man das Foto einer Neugeborenen und Aktportraits. Aber Goldin ist in die Sphäre ihres Interesses ungleich verstrickt, gnadenlos beteiligt: Tätowieren, Spritzen, Pissen; Paare im Bett. Rund die Hälfte der 22 Fotografien, wie bei Schulze ausnahmslos in Farbe, sind bekannt aus »The Ballad of Sexual Dependency«, ein Elend in Leidenschaft, in das ich auch um den Gewinn eines Werkes nicht würde hineingezogen werden wollen.

Überzeugend ist die schlichte Dramaturgie der Hängung, einheitliche Rahmen und Größen, die Unterteilung der lichten Etage über die Diagonale. Goldin arbeitet, soweit ich das erkennen kann, mit Cibachromeprints, die sich im hellen Raum als nachteilig erweisen, sie spiegeln stark.

Kunst-Werke Berlin, Auguststraße 69, bis zum 2. August, Mo.-Fr. 10-18 Uhr, Sa. 10-14 Uhr, Katalog 15 Mark Ulf Erdmann Ziegler

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