■ Die Grünen und das Tempodrom: Vorwärts nach gestern
Die Fraktion im Abgeordnetenhaus ist gespalten, der Landesausschuß – das höchste Gremium zwischen den Parteitagen – gänzlich unentschieden und die Kreuzberger Bezirksverordneten sind gegen das Tempodrom auf dem Gelände des ehemaligen Anhalter Bahnhofs. Längst sind damit die Niederungen einer Kreuzberger Provinzposse verlassen. Zu studieren sind die Mechanismen eines politischen Wahrnehmungsverlusts bei Bündnis 90/Die Grünen unter besonderer Berücksichtigung des Kreuzberger Soziotops. Fünf Jahre nach dem Mauerfall machen die Grünen vor, was wahrhaft konservative Politik ist. Konsequent wird die veränderte Rolle und Funktion eines ins Zentrum gerückten Bezirks ignoriert und mit den Blaupausen einer anderen Zeit hantiert. Wer eine Standortfrage mit einem zwölf Jahre alten Papier zum Erhalt von Grünflächen begründet, gibt den Anspruch auf, als politische Kraft in der Stadt ernst genommen zu werden. Anstatt die Begehrlichkeiten der Investoren auf dieses Gelände mit einer intelligenten Lösung für Tempodrom und Grünfläche zu kontern, geht man eine dubiose Ablehnungskoalition mit der CDU ein – einer CDU, die zuvor auf dasselbe Gelände eine Olympiahalle klotzen wollte. Welcher Gewinn das Tempodrom, das in besonderer Weise für die alternative Kultur in der Stadt steht, im zentralen Bereich sein könnte, ist keine Frage wert. Kreuzbergs Bürgermeister Peter Strieder (SPD), der beharrlich in grünen Politikfeldern wildert, wird nicht im Traum geglaubt haben, daß er mit dem Angebot für das Tempodrom die Grünen dermaßen als politikunfähig vorführen könnte. Nun wird sich wohl der Parteivorstand damit befassen müssen. Denn ein Jahr vor der Abgeordnetenhauswahl kann es einer um stadtpolitische Kompetenz ringende Partei nicht egal sein, welchen Flurschaden grüne Gestrigkeit anrichtet. Ansonsten nämlich könnte es sein, daß sich die Hoffnungen auf ein rot-grünes Reformbündnis auf gänzlich unerwünschte Weise verflüchtigen. Gerd Nowakowski
Siehe Bericht auf Seite 22
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen