: Vorteilhaft verschwitzt
John Boormans „Beyond Rangoon“ – ein Film über die burmesische Freiheitskämpferin Aung San Suu Kyi ■ Von Dorothee Wenner
Vor drei Wochen feierte die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ihren 50. Geburtstag, allein in ihrem Haus in der University Street in Rangoon, bewacht von zahlreichen Soldaten der burmesischen Armee. Die Biographie der burmesischen Friedensnobelpreisträgerin ist so dramatisch, glitzernd und einzigartig, daß es wohl nur eine Frage der Zeit war, bis Hollywood sie als Filmstoff entdeckte. Als Suu Kyi zwei Jahre alt war, wurde ihr Vater, der in Burma (Myanmar) heldenhaft verehrte Freiheitskämpfer Aung San, ermordet. Die Tochter verließ das Land, lebte in Japan, den USA, Indien, Bhutan und England, und kehrte 1988 zurück nach Rangoon, als ihre Mutter im Sterben lag.
So zufällig wie sonst nur in Spielfilmen fanden in eben diesen Tagen die größten Demonstrationen gegen die brutale Militärregierung statt, die Burma seit dem Putsch von 1962 erlebt hat. Die Shwedagon-Pagode war die goldene Kulisse, als Suu Kyi ihre erste öffentliche Rede vor einem Millionenpublikum hielt und über Nacht zum Superstar wurde. Die Militärs sahen in der zierlichen Gandhi-Verehrerin eine große Gefahr und sperrten sie ein. Dennoch gewann Suu Kyis Partei, die National League of Democracy, die Wahlen im Mai 1990 mit einem triumphalen Ergebnis, das die Militärregierung bis heute ignoriert.
Während das Regime seine Macht mit Waffengewalt und einem allgegenwärtigen Geheimdienst stabilisieren konnte, beginnt in einer Woche für Suu Kyi das sechste Jahr ihres Hausarrests. Zur Zeit darf nicht einmal ihr Ehemann sie besuchen, geschweige denn Journalisten. Mag sein, daß das noch offene Ende dieser dramatischen Geschichte den britischen Hollywood-Regisseur John Boorman zu dem Entschluß brachte, die jüngsten Entwicklungen in Burma aus amerikanischer Perspektive zu erzählen. Boorman war sich seiner Verrenkung offenbar bewußt und versuchte, sie auf zeitgenössische Art und Weise zu kaschieren.
Patricia Arquette spielt in „Beyond Rangoon“ die junge Ärztin Laura Bowman, deren Ehemann und Sohn von Einbrechern brutal ermordet worden sind. Um Abstand zu gewinnen, reist die leidgeprüfte, naive Amerikanerin mit ihrer Schwester und einer Reisegruppe ins Land der goldenen Pagoden. „Ich dachte, ich würde im Fernen Osten etwas finden.“ In Burma bekommen Laura und ihre Schwester zwar viele Sehenswürdigkeiten geboten, leiden aber unter schlechtem Hotelservice. Eines Nachts kann die junge Witwe nicht schlafen, geht durch das nächtliche Rangoon und gerät mitten in eine Demonstration. Dort wird sie Zeugin jener berühmten Szene, die Boorman in den Straßen von Malaysia nachgestellt hat: Aung San Suu Kyi (Adelle Lutz) geht wundersam furchtlos wie eine überirdische Gestalt durch eine Reihe von Soldaten, die mit ihren MPs direkt auf sie zielen. Bis dahin hat Laura die burmesische Wirklichkeit kaum wahrgenommen, doch plötzlich interessiert sie sich für Land und Leute, findet es gar nicht weiter schlimm, ihren Reisepaß verloren zu haben und deswegen nicht mit der Gruppe zurückreisen zu können. Auf der Straße lernt sie den weißhaarigen Ex-Professor Aung Ko (U Aung Ko) kennen, der sich ihr als neuer Reiseleiter anbietet. An seiner Seite gerät sie mitten in die blutigen Auseinandersetzungen, wird verfolgt und katapultiert sich aus der Rolle der unbeteiligten Touristin zur mutigen Sanitäterin und Lebensretterin. Zusammen mit ihrem Begleiter und einigen Studenten gelingt am Ende eine dramatische Flucht über den Fluß nach Thailand. Noch in nassen Klamotten geht Laura in das Rote-Kreuz-Zelt, wo sie sich umgehend nützlich machen kann, was ihrem Leben fürderhin einen Sinn geben wird. Was Tolleres kann einem auf einer Fernreise doch gar nicht passieren!
Boorman und seine Leute haben weder Kosten noch Mühen gescheut, im muslimischen Malaysia die ungeheuren Ereignisse vom August 1988 nachzustellen: Goldene Buddha-Statuen liegen da im Regenwald, die Autos sind original alt, und vor allem die Demonstrationsszenen wirken fast wie eine Animation von den wenigen Fotografien, die die Ereignisse in den westlichen Print-Medien dokumentierten.
Da stört es auch nicht weiter, wenn Laura im Film, der im August 1988 spielt, das Massaker von Rangoon bereits mit dem vom Tiananmen im darauffolgenden Jahr vergleichen kann, wie überhaupt kleine historische und kulturelle Ungenauigkeiten innerhalb gewisser, spielfilmbedingter Toleranzgrenzen bleiben. Penetrant dagegen wirken Lauras Flashbacks, in denen wieder und wieder die im Wohnzimmer ermordeten Familienangehörigen zu sehen sind. Was zunächst wie eine dramaturgische Unbeholfenheit wirken könnte, um die reichlich burmanisierte Patricia Arquette (barfuß, vorteilhaft schwitzend und in Landestracht) nicht alle Bindungen zur amerikanischen Heimat verlieren zu lassen, hat System. Der Film beschränkt sich nämlich nicht darauf, die Augustereignisse nach altmodischem Muster nur aus amerikanischer Beobachterperspektive zu erzählen, sondern läßt Laura im Verlauf des Films zu einer agilen, amerikanischen Ersatz- Aung-San-Suu-Kyi werden. Das bewerkstelligen die mannigfachen Parallelen zwischen der Biographie der „echten“ Suu Kyi und ihrem fiktiven Counterpart: Beide Lebensläufe sind von Ermordungen naher Familienangehöriger geprägt, beide kommen zufällig im August 1988 nach Rangoon, beide wirken wie zerbrechliche Figuren, die unter dem Druck der Ereignisse zu fast übermenschlichen Leistungen gebracht werden, beide beziehen ihre Kraft aus der buddhistischen Lehre, werden im Film aber eher als christliche Erlöserfiguren dargestellt. Schließlich haben beide väterlich-weise Berater zur Seite und sehen im Longyi- Rock gar nicht so unähnlich aus (für das Cover einer Filmzeitschrift posierte Arquette sogar mit „Schlitzaugen“, die sie sich selbst mit den kleinen Fingern zieht).
Die plump-pädagogische „Überblendung“ oder Verschmelzung der Figuren erklärt Boorman mit der Absicht, sein Film habe von drei exzeptionellen Frauen gleichzeitig handeln sollen: Laura Bowman und Patricia Arquette, über denen Aung San Suu Kyi gleichsam „schwebe“. Vielleicht ist es ja auch wieder nur eine Geschmacksfrage. Im Unterschied zu Lauras dramatischem, aber erfolgreichem Selbstfindungsprozeß vor exotischer Kulisse, bleibt jedoch für Aung San Suu Kyi in „Beyond Rangoon“ außer einem wortlosen Auftritt nur noch im Abspann eine kurze Würdigung.
Wie Suu Kyi selbst diesen Film findet, kann man derzeit nicht erfahren. Ihr Ehemann berichtet, es sei Suu Kyis ausdrücklicher Wunsch, daß ihre in England lebende Familie wegen der höchst sensiblen Lage in Rangoon derzeit auf jede öffentliche Stellungnahme verzichten möge.
„Rangoon“. Regie: John Boorman, Kamera: John Seale. Mit Patricia Arquette, Frances McDormand, A Aung Ko. USA, 1994, 97 Min.
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