Vorstellung des WM-Kaders für Russland: Ohne Volland fahr'n wir zur WM
Bundestrainer Löw nimmt überraschend Nils Petersen in die Auswahl. Er verteidigt die viel kritisierten Gündoğan und Özil.
Diesen Tag hatten sich Bundestrainer Joachim Löw und die Vertreter des Deutschen Fußball-Bunds gewiss etwas anders vorgestellt. Eigentlich sollte an diesem Dienstag ausschließlich über die anstehende Weltmeisterschaft in Russland und die obligatorische Überraschung bei der Bekanntgabe des vorläufigen deutschen WM-Kaders gesprochen werden. Mit Nils Petersen vom SC Freiburg beförderte Löw schließlich wieder einen Mann in den Elitekreis, den kaum einer ernsthaft in der engeren Wahl gesehen hatte. Der favorisierte Sandro Wagner vom FC Bayern München, der sich selbst seiner Nominierung schon gewiss war, hatte dagegen ebenso das Nachsehen wie Kevin Volland von Bayer Leverkusen.
Zudem hatte man beim DFB sorgsam Positivmeldungen vorbereitet. Präsident Reinhard Grindel verkündete die Vertragsverlängerung mit Bundestrainer Joachim Löw und seinem Betreuerteam bis 2022. Der Kontrakt mit dem Teammanager Oliver Bierhoff wird gar bis 2024 verlängert.
Doch das Treffen der deutschen Fußball-Nationalspieler İlkay Gündoğan und Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in London, zu dem wohl an diesem Dienstag sich kaum ein politischer Vertreter in Berlin nicht geäußert hatte, war natürlich auch in Dortmund großes Gesprächsthema. Beide hatten Erdoğan ihr Team-Trikot überreicht. Auf Gündoğans Trikot stand: „Für meinen verehrten Präsidenten – hochachtungsvoll.“
Bierhoff bekundete ebenfalls seine Missbilligung und berichtete von ersten erzieherischen Maßnahmen. Er habe mit Özil und Gündoğan über diesen Auftritt gesprochen und ihnen klargemacht, dass sie sich der Bedeutung dieser Begegnung hätten bewusst sein müssen. Bierhoff sagte: „Man muss auch wissen, wie die Türken in diesen Bereichen ticken.“
DFB-Manager Oliver Bierhoff
Der öffentliche Druck auf die beiden Nationalspieler könnte kaum erdrückender sein. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann stellte klar: „An dieser Stelle hört der Spaß auf. Das geht gar nicht. Das können sie nur durch viele Tore bei der Weltmeisterschaft egalisieren.“
Plädoyer mit Weitsicht
Womöglich hatte Grindel auch derartige Stimmen im Sinn, als er um etwas mehr Mäßigung bat. Und Bundestrainer Joachim Löw stellte sich auf beeindruckende Weise vor seine Spieler: „Beide Spieler haben für die Integration sehr viel getan.“ Und er wies darauf hin, dass bei Spielern mit Migrationshintergrund in der Brust zwei Herzen schlagen würden. Gündoğan und Özil hätten ihm zu verstehen gegeben, dass sie keine politische Botschaft senden wollten. Dieses Verteidigungsplädoyer hob nicht nur vergangene Verdienste der ins Kreuzfeuer geratenen Nationalspieler hervor, sondern zeugte auch von einer gewissen Weitsicht. Eine das Team infizierende Debatte, welche Spieler die deutschen Werte angemessen vertreten und welche nicht, kann Löw vor dem wichtigen Turnier nun wirklich nicht gebrauchen. Bei der WM 2010 in Südafrika wurde eine ähnlich gelagerte Debatte dem französischen Team zum Verhängnis.
Über die Zusammensetzung des vorläufigen WM-Kaders wurde dann aber in Dortmund doch auch noch ausgiebig gesprochen. Die Nicht-Nominierung von Mario Götze, der im WM-Finale 2014 das entscheidende Tor erzielte, begründete Löw mit seiner aktuellen Form: „Es war nicht unbedingt seine Saison.“
Und zur Berufung des lange Zeit verletzten Torhüters Manuel Neuer erläuterte Joachim Löw: „Wir wollen uns selbst ein Bild machen.“ Diese Woche sei Neuer erstmals ohne Einschränkung ins Training eingestiegen, könne also wieder voll belastet werden. Er betonte allerdings auch, dass niemand zur WM nach Russland ohne Spielpraxis fahren wird. Sprich: Bis zu den Freundschaftsspielen gegen Österreich (2. Juni) und Saudi-Arabien (8. Juni) muss der Keeper von Bayern München wieder wettbewerbsfähig sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau