Aufklärung, Propaganda etc.: Vorsicht Bissiger Hund
■ „Beruf Neonazi“
Winfried Bonengel, der Regisseur, der sich bereits mit Dokumentationen wie „Er war der Führer von Berlin“ oder „Unsere Kinder“ als Rechercheur rechtsradikaler Umtriebe einen Namen gemacht hat, porträtiert den Münchener Yuppie-Neonazi Bela Ewald Althans sowie dessen Förderer und Mentor Ernst Zündel, der im kanadischen Toronto ein internationales Netzwerk revisionistischer Schriften und Videos betreibt.
Waren schon im „Führer von Berlin“ Staatsanwaltschaft und Polizei seltsam absent, gehört in „Beruf Neonazi“ die Bühne vollends den Protagonisten. Rasant geschnitten, beginnt der Film mit einer Nachtfahrt durch das schillernde Hochhausmeer Torontos, um schließlich in einen Versammlungskeller einzufahren, in dem man als erstes einen indisch aussehenden Mann bemerkt, der sich und seine Vorfahren in markigen Worten als Arier präsentiert. Im selben Keller sieht man Zündel vor Schaltpulten, Schneidetischen und Videobändern sitzen, ein Bild, daß sich noch häufig wiederholt.
So wird gleich zu Anfang eine Grundstimmung etabliert: Ubiquitär, schnell, subversiv und medial vernetzt arbeitet der Gegner, und was immer wir tun, kann ihm nur zuspielen. „Ich benutze den jüdischen Propagandaapparat gern mit,“ erklärt Zündel strahlend, „etwas besseres, als daß die über mich hetzen, kann mir überhaupt nicht passieren.“
In der Pressevorführung stockte mehreren Kollegen hörbar der Atem, als Zündel sich eine KZ-Uniform über den Anzug zieht, auf der in Lagerlettern seine Telefonnummer zu lesen ist. „The Holocaust Is a Hoax“, „Auschwitz Is Pure Hate“ ist auf seinen Schildern zu lesen. Nur einmal sieht man Gegenwehr: Als David Irving, der berühmteste englische Revisionist, aus den USA ausgewiesen wird und die Grenze nach Kanada überqueren will, stehen da protestierende Serben, die auf den Mord an 1,5 Millionen ihrer Landsleute aufmerksam machen.
Der in Deutschland spielende Teil des Films widmet sich im wahrsten Sinne des Wortes dem Treiben Ewald Althans, der sich mit französischen Kameraden trifft, ältere Damen tätschelt, Geld zählt und läuft, fährt, fuhrwerkt, die Kamera immer hinterher.
Die zentrale Stelle des Films ist — wie schon damals bei „Der Stau“ – die Szene im ehemaligen Konzentrationslager, in diesem Fall Auschwitz, wo Althans selbst einst Grabstätten pflegte. Auschwitz erscheint hier, in bewußter Durchbrechung traditioneller Ikonographie, nicht mehr als nebliges, sublimes Gelände des Grauens, sondern als das Museum, das es heute ist. Es liegt im Sonnenschein, man kann Postkarten davon kaufen, und man sieht, wie unendliche Mengen von Touristen hindurchgehen. Mit schwankender Handkamera folgt unser Gesprächspartner Johann Feindt Althans in die ehemalige Gaskammer, wo er Besucher fragt: „Na, wo ging der Rauch hin? Wie funktioniert denn Zyklon B? Sie haben ja keine Ahnung!“
„Ich sehe nicht ein“, sagt er in perfektem Englisch, „warum ich als junger Mensch für etwas büßen soll, was ich nicht getan habe.“ Ein einziger, junger amerikanischer Tourist läßt sich auf ein Gespräch mit ihm ein. „So what was this, a vacation camp?“ Hilflos in seiner Wut weiß er nicht, ob er versuchen soll, Althans zu widerlegen (und sich damit die „Beweislast“ zuschieben zu lassen), oder ihn einfach „in the name of history“ anzuschreien: Nimm die Brille ab!
Bis ins Simon-Wiesenthal- Center nach Los Angeles hat sich die Botschaft von diesem Film herumgesprochen. Wie der Spiegel urteilten auch zwei zu den Jüdischen Kulturtagen nach Deutschland gekommene Rabbiner, es handele sich um einen reinen Propagandafilm, der auch noch staatlich gefördert worden sei. Das ist ein bißchen richtig: Tatsächlich gibt es, außer der kurzen Verzweiflungstat des amerikanischen Juden im Museum Auschwitz, nicht eine einzige Intervention, keinen Kommentar, keine Staatsanwaltschaft, sondern nur atemlosen Aktionismus.
Andererseits ist das auch ein bißchen falsch: Der Film ist, merkwürdigerweise, von beiden Seiten benutzbar. Er trifft auf ähnliche Kritik wie seinerzeit Heises „Der Stau“ oder Kamarkas „Warheads“: Wo bleibt die Distanz? Das Problem ist, daß sich bestimmte Dinge nicht erfahren lassen, wenn man warnende Zwischentitel oder ein Voice-Over einfügt. Die Gewalt, die schon in der Art liegt, wie sich Althans ein Jacket anzieht, wie er sich gegenüber anderen positioniert oder wie er mit seinen liberalen Eltern redet; auch die Gesprächsformen zwischen den Protagonisten erfährt man eben nicht aus einem vermittelnden Kommentar. mn
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