Sanssouci: Vorschlag
■ „Paper Tiger TV“
Anfang der achtziger Jahre trat an die Stelle der Bürgerbewegung das Bürgerfernsehen, so wie sich auch die Politik in kulturelle Zeichen auflöste. Davon hat sich die Kultur bis heute nicht erholt, auch wenn es die Bürger mittlerweile erneut zu Hunderttausenden auf die Straße und in den Lustgarten zieht. Amerika ist dabei wie so oft dem Aufbegehren einen Schritt voraus. Der Widerstand wird dort wieder mit Medien fortgesetzt, für deren Dokumentation die Aktionsgruppe Paper Tiger TV Kunst und Fernsehen verschmilzt.
Die Küche als Treffpunkt fehlt zwar, ansonsten aber haben sich die Galerieräume in der Ackerstraße in eine Wohnung zurückverwandelt, die sich nun allerdings aus Informationsträgern zusammensetzt. Die Botschaft ist Interieur, der Kunstverein ein mit Bravour verdoppelter Infoladen, der sich praktisch selbst dokumentiert. Jeder Winkel liest sich wie objektgewordene Buchillustrationen von Quentin Fiore, der in den späten sechziger Jahren „Do it!“ für Jerry Rubin und Marshall-McLuhan-Bände bebildert hatte. Zeitungsballen sind zu Sitzmöbeln verschnürt worden, die Wände zieren politische Logos; Bild hängt kunstvoll in Falten gelegt als Gardine vor den Fenstern.
Darüber hinaus gibt es neben all der uneigentlichen Datenverarbeitung konkrete Spiegel der Aufklärungsarbeit des rebellischen Senders: Auf mehreren Monitoren laufen selbstproduzierte Videos, in einer Ecke hängen zahlreiche Fanzines und Zeitschriften über Sex, Popkultur und Politik an einer Wäscheleine. Das TV-Kollektiv setzt sich mit den Vermittlungsformen öffentlicher Kritik auseinander. Die Medieninitiative aus New York hat beispielsweise das von großen Sendern wie CNN und ABC ausgestrahlte Bildmaterial zum Golfkrieg verglichen und interpretiert oder die Berichterstattung bei rassistischen Gewalttaten verfolgt. Die Ergebnisse der medialen Diskursanalyse wurden dann selbst wieder zu Film montiert und als Dokumentation über Satellit landesweit den jeweiligen lokalen Stationen der Public Access TVs angeboten. Der Offene Kanal als dekonstruktivistische Instanz und zugleich wiedergefundene Stimme der Gegenöffentlichkeit. Ein recht zwiespältiges Unterfangen, zumal die subversiv verstandene Auslegung von Fakten nur selten auf das eigene Vorgehen bezogen wird. Die Verführung, mit der Paper Tiger TV arbeitet, macht genau wie die großen Sendeanstalten im entscheidenden Augenblick vor sich selbst halt, verbannt die Film-Apparatur aus dem Fernsehbild, nutzt bei der Schnittfolge die Errungenschaften der Clip-Ästhetik und läßt die Leute relativ selten ausreden: Diskussionen finden meistens nur im Studio statt. Nach wie vor trennen Sender und Empfänger Welten voneinander, die Paper Tiger TV allerdings genauer als jedes andere Fernsehprogramm im Bild festhält.
Bis zum 10.12. in der Galerie Art Acker, Ackerstraße 18, Di-Fr 17-20 Uhr, Sa 11-14 Uhr
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