Sanssouci: Vorschlag
■ Das Antifa-Jugendcafé in der „Lunte“
Als wäre die Zeit stehengeblieben: Es gibt sie noch, die Politisierstuben der Jugend, mit ihrem zusammengekramten, wackligen Mobiliar, mit Massen von Szenezeitschriften und Stapeln von Flugblättern, auf denen der Aufruf „Kommt massenhaft!“ nicht fehlt. Der Stadtteilladen „Lunte“ in der Neuköllner Weisestraße ist so ein Ort, an dem man sich sofort in die siebziger Jahre zurückversetzt fühlt und in jene Atmosphäre eines zerfledderten WG-Wohnzimmers, die die Fachbereichscafés an der FU damals boten. Seit etwa vier Jahren treffen sich hier Jugendliche des Bezirks zum wöchentlichen „Antifa-Café – „zum trinken, quatschen, Filme gucken, gegen (Neo-)Nazis organisieren und handeln“. Nun erwies es sich als nicht gerade die beste Idee, die frostigen Schritte ausgerechnet am Montag nach Neujahr gen „Lunte“ zu lenken. Denn entweder die Festtage oder die barbarische Kälte hatten ihren Tribut gefordert – man(n) saß und blieb zu viert. Aber nicht anders war's ja auch in jenen Vorzeiten der Politik von unten – die „massenhafte“ Mobilisierung blieb so vage, wie der Druck, dem man sich aussetzte, seltsam imaginär war. So blieb es meist bei hochgestochenen Flugblattexten, Zeitungsprojekten und einigen löblichen Anklopfaktionen. Auch hier, im Norden Neuköllns, scheint der Druck des gestellten Problems nicht unmittelbar, das heißt handgreiflich zu sein (wenigstens bis jetzt). Um also wenigstens einen konkreten Eindruck von diesem Montagstreff mitzunehmen, ist es der, daß eben doch mehr „gequatscht“ als „organisiert“ und „gehandelt“ wird.
Und das wäre ja auch gut so, was soll man denn seine Ratlosigkeit immer gleich wegorganisieren und Aktivismus simulieren. Wer ernsthaft etwas tun, zuallererst Asylantenheime schützen will, wird etabliertere Formen (wie den „SOS Rassismus“) finden als einen peripheren Stadtteilladen. Dessen Vorteil könnte in einer offenen Scharnierfunktion zwischen den Erfahrungen in der Nachbarschaft und dem Versuch ihrer öffentlichen Artikulation liegen – nicht jedoch im Zitat diskursiver Altlasten. Denn Begriffe wie Antifaschismus, heruntergekocht auf Antifa, verstellen die potentielle Offenheit, weil sie Erfahrungen vorschnell auf ideologische Buttons abziehen. Die meisten kommen nämlich lieber für sich selbst, und nicht massenhaft. Bernd Gammlin
Antifa-Jugend Neukölln, montags ab 17 Uhr in der „Lunte“, Weisestraße 53. „Ab 18 Uhr sind manchmal Veranstaltungen.“
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