Sanssouci: Vorschlag
■ Zuckmeyers „Hauptmann von Köpenick“ in Potsdam
„Ein deutsches Märchen“ heißt Zuckmeyers Stück von 1931 im Untertitel. Und wirklich: Wie verzaubert ist die Welt dem Wilhelm Voigt, nachdem er in eine Hauptmannsuniform geschlüpft ist. Der Arbeits- und Obdachlose steht mit einem Mal im Mittelpunkt, wo immer er im militärverliebten Preußen seine Befehle ausgibt.
Der Versuch von Katja Wolf, die Dramatisierung eines Vorfalls aus dem Jahre 1906 einmal gegen ihren Naturalismus zu inszenieren, ist durchaus berechtigt. Vom Glanz und Gloria Preußens, seines Militärs und seiner Uniformen ist nichts geblieben, und so kommt die Wunderwirkung der Uniformen in Potsdam jetzt als Farce. Bei der Beschäftigungstherapie „Schlacht von Sedan“ wird der Gefängnisdirektor (Jürgen Mai) zum sexuell erregten Kommandanten des Sandkastenspiels, während die Strafgefangenen als Kavalleristen, Infantristen und Feinde wie kleine Jungs toben dürfen. In den vielen Stationen, bevor die Hauptmannsuniform Voigt endlich erreicht, hagelt es Einfälle. Der Bürgermeister von Köpenick fällt bei der Anprobe einer Uniformhose auf den Rücken, seine Frau hilft ihm in die Prachtbuxen wie in einen Strampelanzug, und Günter Rüger als Schneider gerät angesichts der ursprünglich für den Herrn von Schlettow (Olaf Weißenberg) hergestellten Hauptmannsuniform in staunendes Beben und Weinen, als erlebte ein Antikenforscher die Akropolis von Athen zum ersten Mal.
Wenn Voigts Stationen des Elends erzählt werden, driftet Katja Wolf in Richtung Musical ab, unermüdlich macht sie sich auf die Suche nach kleinen gefälligen Idyllen. Keine Gelegenheit wird ausgelassen, mit Volksliedern und Formationstänzen die hintergründige Tragik aufzuhellen, kräftig werden Figuren hinzuerfunden, die im stummen Spiel launige Clownerien hinlegen, wie zum Beispiel den Witz, daß eine Blinde mit ihrem Stock den Pfennig auf der Straße findet. Ragtime und Blues vom Barpiano halten zu lockerer Grundstimmung an.
In der breit ausgewalzten Buntheit erscheint Voigt als schwarze Figur, chaplinesk mit Stöckchen und Melone. Anscheinend verweigert sich Jürgen Mikol der zugedachten Rolle; er bleibt trocken realistisch, lächelt mal melancholisch, aber ohne Humor. Erst nach der Verhaftung des Bürgermeisters von Köpenick und der Beschlagnahmung der Stadtkasse genießt er voll die Diktatorrolle. Während die Militärs stupide und exakt das Amt besetzen, hält sich Voigt mit einem operettenhaften Freudentanz wie in der Schwebe. Die Szenen seiner erneuten Verhaftung durften wohl so viel Frohsinn nicht stören. Sie entfielen. Berthold Rünger
Nächste Vorstellungen: 9., 11. und 22. Juni.
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