: Vorschlag
■ Eric Agyeman bei den Heimatklängen
Die Band, die in dieser Woche bei den Heimatklängen auf der Bühne steht, gibt es eigentlich überhaupt nicht – könnte man meinen, wenn man den abenteuerlichen Erzählungen des Ethnoforschers Borkowsky Akbar hinter der Kurmuschel im Tiergarten lauscht. „Die Band ist vorgestern in eine Maschine der Ghana-Airlines nach Deutschland eingestiegen, die während des Fluges leider ein Fenster verlor. Die Ersatzfenster gibt's anscheinend nur in London. Von London gings dann irgendwann nach Frankfurt. Und dort gab's keine Flieger nach Berlin mehr, also nahmen die Jungs den Paris-Moskau-Expreß, hatten aber keine Platzkarten und kamen heute morgen ziemlich fertig hier an.“
Wohl deshalb spielen Eric Agyeman aus Ghana und seine Kollegen die erste Dreiviertelstunde ihres Sets, als hätte irgendwer ein Signal vor der Bühne auf Rot gestellt. „Highlife“ – das Etikett für eine Musik, die in den Zwanzigern in Ghana aufkam, in den Sechziger und Siebzigern ihre Renaissance feierte – High life will beileibe nicht aufkommen. „Das kann aber auch daran liegen, daß wir die Instrumente der Band komplett ausleihen mußten“, erzählt Borkowsky weiter. Das einzige Instrument, das die Musiker aus Afrika mitgebracht haben, ist ein altes Grammophon, das irgendein Musik-Kolonialist in Ghana eingeschleppt haben muß.
Borkowskys Feldforscher spürten Agyeman in der ghanaischen Hauptstadt Accra auf, wo er in diversen anderen Bands mitspielt. Die Idee, den Gitarristen überhaupt ausfindig zu machen, hatten die Heimatklängler durch die Wiederveröffentlichung der Platte „Highlife Safari“ und deren Einstieg in die „European World Music Charts“. Es kann aber auch umgekehrt gewesen sein. Fest steht nur, daß Agyeman 1972 in die Band „Dr. K. Gyasi and his Noble Kings“ kam, die wiederum einen neuen Highlife-Sound entwickelte, genannt „Sikyi“.
Wie auch immer: erst nach der Halbzeit kommt etwas Dampf ins Konzert, das Publikum beginnt trotz Nieselregens mit den heimatklangtypischen Beckenbewegungsübungen. Jetzt scheint es sogar von Vorteil, daß wir es nicht mit schlafwandlerisch aufeinander eingestellten alten Hasen zu tun haben. Die Bläser Sammy Odoh und Long John werden kantiger und präziser. Der zweite Sänger neben Chef Agyeman, Mister Agyaaku belebt das Geschehen mit kleinen Showeinlagen und Gesang im Fast-Falsett. Agyeman persönlich steht immer noch ein wenig unbeholfen an seine hochgestimmte Gitarre geklemmt herum. Aber auch ihm wird langsam warm, und plötzlich ruft es aus ihm, völlig unvermittelt: say yeah! Überflüssig, die Stimmung ist inzwischen selbstläufermäßig auf dem Weg zum Highlife.
Die zweite Woche der Heimatklänge ist also gesichert. Nichts revolutionär Neues, dieser dritte Anlauf des Highlife, aber nette Kost für einen angenehmen Abend zwischen Buden mit Schmuck, amnesty international und T-Shirts mit dem brüllenden Löwen drauf, der sich über alle totlacht, die sich zu viele Gedanken machen. „No Make Palaver“, ein etwas doof diskursfeindliches Motto. Ich wäre für: Shut up and dance! Andreas Becker
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