: Vorschlag
■ Slawomir Mrozeks „Emigranten“ im Freien Schauspiel
Sie sind Ausgestoßene, leben auf kalten, fest gefügten Pflastersteinen, eingezwängt zwischen schwarzem Himmel und schwarzer Hölle. Der Gelbe und der Blaue, der politische Flüchtling und der Gastarbeiter, beide, AA und XX, vegetieren an einem unwirtlichen Ort, den sie brauchen, der sie aber nicht braucht, sondern höchstens benutzt. In einem Schlupfwinkel verkrochen, bleiben sie so ganz auf sich, auf ihre Zweisamkeit zurückgeworfen. Eine infernalische, mörderische Kombination, mit logischer Präzision angehalten, um die schwache Position der Lebenslüge auszuspielen.
„Emigranten“, der Dialog des politischen Exilanten Slawomir Mrozek, gleicht einer spröden Versuchsanordnung: der Intellektuelle und der Arbeiter auf engstem Raum miteinander vereint. Die Engführung des Dialogs muß beider Schwächen schnell an die Oberfläche bringen. Dem Intellektuellen ging in der Fremde die Reibungsfläche flöten, denn das Objekt seiner intellektuellen Kritik ist ihm außer Reichweite geraten. Der Preis seiner Lebensrettung im Exil ist mit der krassen Nutzlosigkeit seiner Fähigkeiten hoch, zu hoch veranschlagt. Der andere, der seit drei Jahren an der Mördermaschine steht, daß ihm die Hände zittern und die Ohren pfeifen, hat zwar eine Aufgabe gefunden, doch sein Leben, seine Familie, seine Kinder und sein noch zu bauendes Haus warten (vergeblich) in der Heimat. In der Silvesternacht kommt es zum Kulminationspunkt, der Alkohol löst die Zunge und bringt das Elend zutage, so daß am Ende das gesammelte Geld des Malochenden ebenso zerrissen ist wie die intellektuellen Aufzeichnungen des geistig Tätigen. Im entscheidenden Moment, wo mörderische Konsequenz der mörderischen Rede folgen soll, läßt das undefinierte Außen Licht angehen. Die beiden Kümmergestalten stehen sich nackt und bloß gegenüber.
Auf der lächerlich kleinen Bühne, die wie ein rettungsloses Floß in den Raum ragt, agieren zwei hilflose Clowns. Doch hinter der weißen Gesichtsmaske, die während des Spiels allmählich ihre Farbe verliert, schimmern immer mehr tragische Gesichtszüge durch, bis die Clownerie sich völlig stranguliert hat. Jean- Theo Jost und Hans-Dieter Heiter spielen unter der Regie von Ben Artmann den Balanceakt zwischen grober Verzerrung und feiner Ausgestaltung mit viel Gefühl für das tragikomische Moment. Besonders Hans-Dieter Heiter als sich proletarisch gebärdender XX, der aus Sprachmangel Hundefutterdosen kauft und vor Heimweh den vertrauten Fliegen nachweint, gelingt es – auch gegen das an sich ganz intellektuelle Spiel der Redeschlacht Mrozeks –, die Verlassenheit und die Zerstörung der Illusion durch den Bauch zu verdeutlichen. baal
16.–19./23.–26. und 30.9. um 20 Uhr in der Pflügerstraße 3.
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