Sanssouci: Vorschlag
■ Budapester Film-Debüts im Haus Ungarn
„Die Ungarn... Und wo leben die... ? Eben in Ungarn... so zwischen Böhmen und Österreich, Serbien und Rumänien...“ Die Nachhilfe, die Ildikó Enyedi in ihrem modernen Märchen „Mein XX. Jahrhundert“ gibt, spricht Bände über die landläufige Ignoranz gegenüber ihrem Heimatland. Beinahe ein „weißer Fleck“, lange der Habsburger Herrschaft zugeschlagen, zuletzt dem Ostblock einverleibt und dabei doch von hartnäckiger Eigenständigkeit. Zumal auf kulturellem Gebiet, was vor allem die Filmfans in der früheren DDR zu schätzen wußten, die allemal mehr Geschmack an den Gewagtheiten der ungarischen Gulaschkommunisten fanden als an hausgemachter Defa-Kost.
Freilich haben die „Großen“ der 68er Protestwelle wie Janczó, Kovács oder Szabó heute kaum noch etwas zu sagen. Die Ablösung kam mit den Absolventen der Budapester Filmhochschule des Jahrgangs 1984, den letzten Schülern von Altmeister Zoltán Fábri. Eine filmästhetische Zäsur, wie sich im nachhinein herausstellen sollte, zu sehen an drei bemerkenswerten Debüts, die derzeit das „Balázs“-Kino im Haus Ungarn zeigt. Neben der international inzwischen anerkannten Ildikó Enyedi gibt es noch Attila Janisch und Can Togay, ein untereinander eng befreundetes Trio. Mit „Schatten auf dem Schnee“ schuf Janisch einen perfekten Thriller. Ein beklemmend kafkaesker Alptraum, präzise fotografiert vom Kameramann Tamás Sas (gleichfalls aus dem 1984er Absolvententeam), der auch in Togays „Der Sommergast“ (beide 1991) unter einer glatten Oberfläche latente Risse und Spannungen ausmacht. Nur selten finden die Figuren zueinander, entschwinden immer wieder in der Tiefe des Bildes, belauern und umkreisen sich wie Raubkatzen, um von neuem Anlauf zu nehmen – bis schließlich eine Frau mit durchschnittener Kehle am Boden liegt. Vielleicht sind die Debüts einer neuen ungarischen Filmschule keine richtungweisenden „Wende“-Filme. Gewiß aber verabschieden sie alle vermeintlichen Sicherheiten und voreiligen Schuldzuweisungen mit Geschichten hinter den Bildern, die von Abschied und Verlust erzählen. Roland Rust
„Der Sommergast“ von Can Togay, 16.11., 18.30 Uhr; „Schatten auf dem Schnee“ von Attila Janisch, 17.11., 19 Uhr, im „Balázs“- Kino im Haus Ungarn, Karl-Liebknecht-Straße 9, Mitte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen