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SanssouciVorschlag

■ "Wolken.Heim." im Theater zum Westlichen Stadthirschen

Foto: David Baltzer/Sequenz

Eine Autobahn, die sich der Länge nach breitmacht. Das reicht, das ist geschichtsträchtig und „deutsch“ genug. Im „Theater zum Westlichen Stadthirschen“ sitzen wir im Straßengraben. Uns gegenüber ein Stahlgerüst, halbhoch. Dahinter fünf Männer und zwei Frauen. Ein wundersames Stück der Brüche zwischen kalter Intellektualität und frechen Entgleisungen beginnt. „Uns wird der Kopp schwer von uns“, stöhnt der eine, und tatsächlich schwappt Elfriede Jelineks Text „Wolken.Heim.“ in all seiner deutschen Erdung wuchtig zu uns herüber. Fichte, Heidegger, Hegel und Hölderlin stehen, teilweise verfremdet, nahezu unentwirrbar nebeneinander. Dazwischen: Texte der RAF über Isolationsterror, Kampf, Sieg und Tod. Eine düstere Kopfgeburt, dieser Text. Dieter Sudars verteilte die Prosavorlage auf sieben marionettenhafte Figuren und trifft die Stimmung genau.

Aufziehpuppen gleich stellt er die Schauspieler in eine Choreographie der klaren Linien und geometrischen Anordnung. Künstlich auch das Sprechen: Die Figuren reden gegen den Strich, so als verstünden sie nichts. Sie setzen Pausen-Punkte, wo ihnen die Luft oder Lust ausgeht. Unversehens entgleisen die Figuren dann, reden Schwäbisch, Bayerisch, Berlinisch. Dann plötzlich verlieren sie die Kontrolle, sind peinlich wie besoffene Stammtischbrüder. Die Piefigkeit deutschen Volksgutes und -geistes wird im Spitzwegschen Gartenkörbchen samt Seidenblumen real. Doch frech grüßt im obskuren Kasperletheater der Stinkefinger des Bauarbeiterhandschuhs, unverschämt grinst der Totenkopf unter dem Helm, dreimal ruft der Kuckuck aus deutschen Walden. Doch er klingt blechern und hohl. Düster sind die romantizistischen Assoziationen der Inszenierung, eine Viertelstunde gar ist es stockfinster auf der Bühne. Freilich: Sudars Ideen sind so neu nicht. Krakauer Würste werden zu feindlichen Fremden und zertreten, torkelnde Karnevalsgestalten kommen über das militärisch klingende „Ruckizucki“ nicht hinaus. Kleine Randnoten machen die Assoziationen jedoch stets zu etwas Besonderem: In gleißendes Licht getaucht, kämpfen die „RAF-Gefangenen“ beispielsweise gegen die Schläuche der Zwangsernährung und können doch nicht ändern, daß sie mediengerecht vermarktet werden. Vom „Moviestar“ zum „Iso-Star“: Mit wehem Lächeln sehen wir diese Siebziger-Jahre-Hitliste. Petra Brändle

Bis 13.3., Do.–So., 20 Uhr, Theater zum Westlichen Stadthirschen, Kreuzbergstraße 37, Kreuzberg.

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