piwik no script img

SanssouciVorschlag

■ Kopfüber in die Nacht mit Saint James & Joyce & Dieter H. Stündels „Finnegans Wehg“

In den alten Zeiten, wo das Lesen noch geholfen hat, gab es auch die Bücher dazu. Die Bibel, das ganz Große Buch, wurde im 20. Jahrhundert neu geschrieben und hieß dann einmal „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ oder „Der Mann ohne Eigenschaften“ oder „Ulysses“. Die bedenklich knapp gewordene intellektuelle Halbwertzeit erlaubt einem heute kaum mehr die Leidenschaft der Versenkung, die diese Riesenwerke erforderten. Die Moderne mit ihrem heroischen Aufopfern von Lebenszeit und abhängiger Familie ist etwas aus der Mode gekommen.

Als nachgeschobenes Riesenwerk, herüberragend aus jener fernen Epoche, ist im vergangenen Jahr Dieter H. Stündels Übersetzung von James Joyces „Finnegans Wake“ erschienen. 17 Jahre hatte Joyce an das wahnhafte Unterfangen gewendet, seinen „Ulysses“ selber zu übertreffen, noch mehr hineinzugeheimnissen, noch mehr Sprachspiele zu erfinden, noch mehr Allusionen zu sammeln und ein gewaltiges Orchesterwerk von Klingklang aufzuführen. 17 Jahre hat seinerseits Stündel an seine Version des Joyceschen Kneipengesangs gewendet, 17 Jahre gebastelt und gealbert, gelegentlich auch abstruse Wörter aus Dutzenden Sprachen nachgeschlagen und sich den großen Jux aus „Finnegans Wehg“ gemacht, den sich schon der Urvater der berauschten Alberei dabei dachte.

„Dannach, frohmmer Änähaß, übeleinstimmend mit dem blitzenden Feuair, das den zittörnten Erdlair öhrfreit, so daß er, wenn der Ruf öhrschallt, fürhundschwanzigstundenweise aus seinem unhymnlischen Coeurpair eine gewitze Männge von obstzönen Sacken bruttozieren soll, huhrhebährrächtlich geschürzt in den Vaenickten Starten von Urinia...“

Die taz-Leser sind aufgefordert, heute abend, wenn Dieter H. Stündel die literaturWERKstatt betritt und zur Verlesung seiner „ÜbelSätzZung“ des „Finnegan“ schreitet, massenhaft zu erscheinen. Von roten Fahnen ist für diesmal abzusehen, der eine oder andere grüne Wimpel aber hochwillkommen, schließlich gilt es Irland, das grüne Irland, das (jedenfalls in den nördlichen Provinzen) noch immer schmachtet unter dem britischen Joch, zünftig gerüstet hochleben zu lassen, die „irische Sau“ und ihren Minnesänger Joyce und ein wenig auch Stündel, seinen getreuen und launigen Wortwerker, den „ErzählungsDiener“, der nun versucht, wie ein „BettelSänger eine Flattsche PottelBier zu öffnen durch mordjaliches Gehämmere“. Und dann, kopfüber in die Nacht. Willi Winkler

Heute, um 20 Uhr, in der literaturWERKstatt, Majakowskistraße 46/48, Pankow.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen