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SanssouciVorschlag

■ Die Group Motion Dance Company gastiert in Berlin

Ab heute abend ist die Group Motion Dance Company aus Philadelphia mit ihrer Produktion „Surge“ im Tacheles zu sehen. Daß alle der acht TänzerInnen, die unter der Leitung von Manfred Fischbeck als Kollektiv zusammenarbeiten, auch selbst ChoreographInnen sind, zeigten die fünf Solo-Darbietungen zum Auftakt des diesjährigen Berliner Gastspiels im Pfefferberg am Sonntag. Weibs-Bilder wurden gezeigt, die unterschiedlicher kaum sein könnten: die eine ist ätherisch schön und selbstgefällig, eine andere entstellt und von Gewalt gekennzeichnet, eine dritte androgyn, Frau und Mann, Roboter und Mensch zugleich. Hier wurden Geschichten erzählt, von Lust und Leid, Entfremdung und Ohnmacht, Hingabe und Hörigkeit. Jeder Tanz ein Charakterstück, der individuelle Ausdruck besonderen Selbstbewußtseins und Lebenserfahrung.

„Esther“ von Esther Cowens ist zunächst die reine Selbstdarstellung. Zur Musik von Vivaldi altmodische Ballettfiguren, die Ästhetik und Empfindsamkeit darstellen – mehr aber auch nicht. Dagegen ist „Future Paradise“ (Musik: Stevie Wonder) regelrecht packend. Laina Fischbeck beschwört mit mechanischen Gesten Visionen der schönen neuen Welt. Scheinbar geschlechtslos und in Nadelstreifen gewandet, lächelt sie, eine beseelte Schaufensterpuppe, jenes starre Lächeln, bei dessen Anblick einen friert. Genauso schockierend ist das Lächeln von Myra Bazell in dem Stück „Traces“. Sie strahlt und spricht von Liebe. Aber das Lächeln wird Grimasse, die Liebe zu Haß. Der Tanz einer Männermörderin? Versöhnlichkeit gibt es nicht an diesem Abend. Den Frauen ist das Land des Lächelns fern.

Und wen wundert das! Auch Laura Peterson wird nicht lachen. Anfangs sieht man noch nicht einmal ihr Gesicht. Nur Hände und Haare, die obzsöne Gesten formen. Dazu elektronische Klänge (Diamanda Galas), die an Hitchcocks „Vögel“ erinnern. „Love Song“ ist ein zynischer Titel für ein Stück, das von der Perversion der Liebe, von sexueller Gewalt handelt. Nur kurz zeigt die Tänzerin ihr Gesicht. Es ist entstellt. Auch die sparsamen Bewegungen scheinen von Unterdrückung gefesselt. Musik und Darstellung gehen auf entsetzliche Art unter die Haut. Das fünfte der Stücke – „Tal“ – ist weniger als die anderen auf ein bestimmtes Bild festgelegt. Fast nackt liegt die Tänzerin Heide Weiss wie ein Embryo am Boden. Es ist sehr still. Unendlich dauert die Entfaltung dieser Kreatur. Die Musik von Laurie Anderson setzt spannungsvoll spät ein. „Tal“ ist ein Tanz um den Körper, über Verletzlichkeit, Nacktheit und Lust. Manchmal pervers, manchmal komisch, aber immer außergewöhnlich. Im Pfefferberg saß man nah dran am Geschehen und bemerkte die Verzweiflung und die Wut, das Zarte und das Bitterböse in den Gesichtern – Wechselbäder von Emotionen. Dieser differenzierte und eindringliche Gastspiel-Auftakt läßt von „Surge“ im Tacheles einiges erwarten. Christine Hohmeyer

Nach den Solo-Miniaturen die große Produktion: „Surge“ wird heute bis 7.8. (außer Mo.) gezeigt, 21 Uhr, Tacheles, Oranienburger Straße 53–56, Mitte.

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