Sanssouci: Vorschlag
■ Einmal protzend ohne, einmal mit Gitarre: Moonshake aus London mit Scrawl im Knaack-Klub
Es soll ja nicht wenige Menschen geben, denen ein Instrument wie die Gitarre ein wahres Greuel ist. Analysiert als Penisersatz und Jungmädchenneid, beschimpft als Penisverlängerung, subtiles Machtinstrument oder muffige Kleinbürgerfreiheit, wird das gute Stück von solchen Bösewichten entweder souverän ignoriert oder mit schlechtem Gewissen mutwillig zu Grabe getragen. Auch die Londoner Moonshake reihen sich da jetzt ein: Sie haben sich endgültig der Sechssaitigen entledigt und protzen auf ihrem neuesten Album mit einem nicht zu übersehenden „guaranteed guitar-free“-Emblem, möglicherweise erleichtert darüber, daß ein traumatischer, langwieriger Entwicklungsroman sein Ende gefunden hat. Denn Moonshakes hauptverantwortlicher Vorturner, Dave Lance Callaghan, trommelte ehedem, in unglücklichen C-86er-Zeiten, mit einer Band namens Wolfhounds die NME-Gemeinde nicht gerade aus dem Häuschen; es reicht für ein, zwei passable Single-Knüller, für zwei Alben, die damals Leute wie ich kauften, für 'ne Menge Langeweile, und schnell war dieser Spuk vorbei.
Mit Moonshake hat Callaghan endlich ein Experimentierfeld gefunden, das einem britischen Schlaukopf und Exzentriker wie ihm auch zusteht, nichts als künstlerische Sackgassen sah er am Ende im Lieblingsspielzeug jedes halbwüchsigen britischen Vorstadtkids, das war genug, und Ruhm war sowieso nicht mehr zu ernten. Musik auf weiten Flächen heißt jetzt die Devise; Flächen, auf denen jeder Ton sein selbstbestimmtes Eigenleben führen soll, die gedacht sind als wilder Expressionismus mal mit, mal ohne Noten. Der lineare Ablauf eines Songs, inklusive Höhepunkt mittels Refrain, verschwindet zugunsten von lauten Splittern, bunten Collagen, und nicht enden wollenden Geräuschaktionen, denen aber (noch) das Korsett einer zeitlichen Songstruktur im Drei- und Vierminutentakt zugemutet wird. „The Sound Your Eyes Can Follow“ heißt so etwas vollmundig, und das sieht wirklich gut aus, läßt sich schön schreiben und läuft leicht über jede Zunge. Und hört sich leider schwierig an, free eben. Nervt auch hie und da, denn seit neuestem hat Callaghan Blasinstrumente wie Saxophon oder Klarinetten entdeckt, die sich unruhig zuckend durch die Moonshake-Bilder schlängeln. Wenn da nicht Callaghans nölig-quengelnde Stimme wäre, ich würd' mich fragen: Wann soll ich das bloß hören? Gerrit Bartels
Beispielsweise heute, zusammen mit der amerikanischen Gitarrenband Scrawl um 21 Uhr im Knaack-Klub, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg.
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